Wien. Verloren im Raum: Die österreichische Romanverfilmung „Herzjagen“ mit der grandiosen Martina Gedeck ist ein Psychodrama der leisen Töne.

Die Herzklappe ist hinüber, der Arzt rät zur Operation – aber was, wenn man mit dem neuen, gesunden Herzen nicht glücklich wird, wenn einem das Leben entgleitet, obwohl das Gegenteil passieren sollte? So verstörend sich das anhört, so irritierend fühlt sich das in Elisabeth Scharangs Film „Herzjagen“ nach dem Roman von Julya Rabinowich auch an.

Freilich hat die Regisseurin in Martina Gedeck für ihre Grenzgängerin Caroline Binder die perfekte Schauspielerin gefunden. Mit Gedeck, die Ulrike Meinhof war, die unnachgiebige Neuköllner Jugendrichterin Kirsten Heisig, die große Clara Schumann oder einfach nur die charmante Gourmetköchin Bella Martha, lassen sich die Untiefen der menschlichen Psyche perfekt ausloten. Die Vielseitigkeit und Abenteuerlust der Münchnerin machen sie im deutschsprachigen Raum derzeitig wohl einzigartig.

„Herzjagen“: Barfuß in der Fußgängerzone

Anspruchsvoll ist nun auch die Rolle der Wiener Architektin, die sie spielt, eine Frau, deren Leben aus den Fugen gerät, ausgerechnet, als es praktisch gerettet wird. „Soll ich mich aufschneiden lassen wie ein Tier?“ schluchzt sie, doch der Arzt (Anton Noori) und ihr liebevoller Ehemann (Rainer Wöss) überreden sie zum Eingriff. Der führt medizinisch zum Erfolg, aber psychisch in die Lebenskrise.

Den Mustergatten lässt sie fortan ins Leere laufen, den Arzt, der sie metaphorisch, aber auch praktisch im Innersten berührt hat, beginnt sie zu stalken. Panikattacken bemächtigen sich ihrer, und wenn sie barfuß im Morgenmantel in der Fußgängerzone steht, wird überdeutlich, dass sie nichts mehr im Griff hat.

Dieser Rückzug, für den Scharang auch originellere Bilder findet, etwa wenn Caroline in einer wiederkehrenden Vision im Astronautenanzug durch den Raum schwebt, er funktioniert, weil Gedeck ihn mal in stiller Unaufdringlichkeit vollzieht, mal mit großer Pose, am Rande des Wahnsinns. Daraus ergibt sich eine Spannung, die diesen eher leisen Film unter Strom hält.

Erstaunlich auch, welch leichte, sogar heitere Momente in diesem sonst so tiefgründigen Psychodrama gelingen. Wie Carolines spontane Pärchenberatung in der Krankenhaus-Cafeteria. Oder die Begegnung mit dem Putzmann (Burgschauspieler Branko Samarovski) auf dem Gang, immer mit einer Lebensweisheit auf den Lippen. Thomas Jarner gelingen dazwischen wunderbar treffsichere Unterstreichungen mit dem Akkordeon.

Keine leichte Kost, aber hohe Qualität

Gleichwohl spürt man jederzeit, wie anstrengend diese Caroline in ihrem andauernden Selbstbezug ist. Die Einzige, die ihr gedanklich folgt, ist nun ausgerechnet eine liebevolle, kettenrauchende Klinik-Psychiaterin (berührend: Ruth Brauer-Kvam), den eigenen Tod bereits im Visier. „Das Leben muss man jeden Tag feiern, das will ich mir nicht durch euer Mitleid vermiesen lassen“, sagt sie.

Und darin liegt schon die Androhung einer vergleichsweise banalen Lösung des Konflikts: Weiß man das Leben möglicherweise erst richtig zu schätzen, wenn man spürt, wie schlecht es den anderen geht? Todesangst und Lebenslust, Klarheit und Verwirrung gehen in dieser feinfühligen Inszenierung miteinander spazieren. Leichte Kost ist das ganz gewiss nicht, aber wer sich darauf einlässt, wird mit hoher Qualität belohnt.

  • 17. Juni, 20.15 Uhr, ARD