Berlin. Norbert Röttgen schimpfte bei Anne Will über Donald Trump und nannte ihn einen Spalter. Cem Özdemir regte am Ende zum Nachdenken an.
Norbert Röttgen gilt als besonnener Außenpolitiker, als überzeugter Transatlantiker, doch am Sonntagabend bei Anne Will machte auch er seinem Unmut Luft. Seit über einer Woche schon gehen in den USA Tausende auf die Straße, um gegen Polizeigewalt, Rassismus und Ungleichheit zu demonstrieren.
Auslöser der Proteste ist der brutale Tod des Afroamerikaners George Floyd, der bei einem Polizeieinsatz ums Leben kam. Und was macht Präsident Trump? „Er spaltet und eskaliert weiter“, schimpfte Röttgen. Der CDU-Politiker, der gerne den Vorsitz seiner Partei übernehmen möchte, ging mit der US-Führung hart ins Gericht. „Er schlägt um sich, er ist nervös, er steht unter Druck“, sagte Röttgen über Trump.
Der Präsident habe nur ein Ziel: bei der Wahl im November von einer knappen Mehrheit gewählt zu werden. Es scheint, dass Trump dafür jedes Mittel recht ist.
Erst das Coronavirus, jetzt die Proteste in den USA: ein explosives Gemisch
Erst traf die Coronavirus-Pandemie die USA mit voller Wucht, die Todeszahlen schnellten in die Höhe, die Arbeitslosigkeit erreichte Rekordstände. Und jetzt die Anti-Rassismus-Proteste. Ein explosives Gemisch. Und der Präsident gießt weiter Öl ins Feuer: Er beschimpft Demonstranten, poltert gegen den politischen Gegner – und droht sogar mit dem Militär.
„Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus – wie viel Verantwortung trägt Präsident Trump für die Eskalation?“, fragte Anne Will fast schon pflichtschuldig. Ihre Runde jedenfalls war sich schnell einig: Der Präsident sucht nicht nur die Eskalation, nein: er braucht sie, um seine Wähler zu mobilisieren. „Es ist ein zynisches Kalkül“, sagte der Grünen-Politiker Cem Özdemir.
Die Gäste bei „Anne Will“:
- Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag (CDU)
- Cem Özdemir (Grüne)
- Alice Hasters, Buchautorin und Podcasterin
- Samira El Ouassil, Kolumnistin und Autorin
- Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der „Tagesspiegel“-Chefredaktion
- Stefan Simons, Korrespondent der Deutschen Welle
Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Probleme in den USA liegen tiefer. Der strukturelle Rassismus sei fest im Land verwurzelt, darauf machte vor allem die Buchautorin und Podcasterin Alice Hasters aufmerksam. Afroamerikaner litten häufiger unter Polizeigewalt, Ausgrenzung, schlechteren Lebenschancen.
Tod von George Floyd – Fotos der Unruhen
Alice Hasters bei „Will“: Düstere Aussichten für Schwarze bei Trumps Wiederwahl
Die Black-Lives-Matter-Bewegung, die derzeit die Demonstrationen prägt, ist bereits 2013 entstanden – unter dem Präsidenten Barack Obama.
Was aber neu ist, ist die „Massenwut“, wie der US-Korrespondent der Deutschen Welle, Stefan Simons, es ausdrückte. Eine solche Wut habe er in den vergangenen Jahren nicht mehr gesehen. Trump habe die Presse zum „Feind des Volkes“ erklärt – und offenbar verfängt sich die Rhetorik bei Teilen der Polizei.
Allein in der vergangenen Woche, so Simons, habe es 279 Behinderungen in der Arbeit von Journalisten gegeben – ein Rekordwert. „Tagesspiegel“-Autor Christoph von Marschall glaubt, dass Trump weiterhin polarisieren werde, um rechte Wähler für die Wahl zu mobilisieren und den Demokraten Joe Biden zu schlagen. „Wenn Trump nochmal gewählt wird, ist das ein Signal, dass das Leben der Schwarzen wirklich nichts zählt“, sagte Alice Hasters.
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Alice Hasters widerspricht heftig Norbert Röttgen
Die Runde bei Anne Will diskutierte das emotional aufgeladene Thema sachlich, informativ, ohne antiamerikanische Reflexe – und vor allem aus dem Blickwinkel persönlicher Betroffenheit. Das wurde am Ende der Sendung noch einmal eindrucksvoll deutlich, als Moderatorin Will den Blick nach Deutschland lenkte. Auf ein Land, das selbst mit Rassismus – siehe NSU-Morde, siehe den Anschlag in Hanau – zu kämpfen hat.
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Alice Hasters und die Autorin Samira El Ouassil widersprachen heftig Norbert Röttgen, der keine strukturellen Probleme im deutschen Polizei- und Justizwesen erkennen konnte. „Verstrickungen der Sicherheitsbehörden in die rechte Szene wurden nur unbefriedigend aufgeklärt“, erinnerte Hasters. Sie kenne viele Menschen, die schon in eine sogenannte „verdachtsunabhängige Kontrolle“ geraten seien – allesamt mit nicht-weißer Hautfarbe.
Und El Ouassil stellte fest, dass Polizei und Bundeswehr, Organisationen mit Hierarchie und Disziplin, eine bestimmte Klientel anziehen würden.
„Anne Will“: Cem Özdemir mit starkem Schlusswort
Röttgen konterte, dass es im Land aber den Willen gebe, diese Probleme anzugehen. Also alles gut? Das rief Cem Özdemir auf den Plan, der an die 90er Jahre erinnerte, als auch die Politik – vor allem im Osten – weggeschaut habe.
Bei den rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen habe der Polizeichef im Fernsehen erklärt, mit den Randalierern verhandeln zu wollen. „Worüber verhandelt man mit potenziellen Mördern?“, empörte sich Özdemir, die Wut war ihm jetzt anzumerken. „Man legt sie in Handschellen!“
Und weiter: „Wir haben den Konsens heute“, so der Grüne. „Aber der Konsens wurde mit Blut geschrieben. Es sind Leute gestorben, die nicht hätten sterben müssen“. Ein starkes Schlusswort. Eines, das erschaudern ließ – und das immer wieder in Erinnerung gerufen werden sollte. Auch dann, wenn der Blick in Richtung USA geht.
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