Berlin. Hickhack um die Grenzwerte: Auch Anne Will gelingt es nicht, die Debatte zu versachlichen. Zuständige Minister kamen erst gar nicht.

Annalena Baerbock hat eine Idee. Ginge es nach der Bundesvorsitzenden der Grünen, ließe sich die ganze Debatte um Fahrverbote, saubere Luft in den Städten und schmutzige Autos im Handumdrehen lösen: Die Konzerne, also allen voran Volkswagen, Daimler und BMW, müssten nur zu Hardware-Umrüstungen älterer Diesel-Fahrzeuge gezwungen werden – und schon würde sich die Probleme mit Stickoxiden und Feinstaub quasi in Luft auflösen.

Der Haken dabei: Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Weder Autobauer noch Politik sind bereit, diesen Weg zu gehen. Und auch die Wissenschaft ist sich uneinig, diskutiert leidenschaftlich über Sinn und Unsinn von Grenzwerten – und deren angemessene Höhe. Baerbock stand also am Sonntagabend bei Anne Will alleine da mit ihrem Vorschlag.

„Streit um Abgaswerte – sind Fahrverbote verhältnismäßig?“, fragte die ARD-Moderatorin ihre Gäste. Ein hoch emotionales Thema, gerade im Autofahrerland Deutschland. Als Zuschauer hätte man gerne gewusst, wie die verantwortlichen Politiker, Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und Umweltministerin Svenja Schulze (SPD),

Auch interessant

22.01.2019, Schleswig-Holstein, Kiel: Autos fahren auf der von einem Verbot für Dieselfahrzeuge betroffenen B76 in Kiel (Aufnahme mit langer Belichtungszeit). Mehr als hundert Lungenspezialisten bezweifeln den gesundheitlichen Nutzen der aktuellen Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide (NOx). Sie sehen derzeit keine wissenschaftliche Begründung, die die konkret geltenden Werte rechtfertigen würden, wie es in einer am 23.01.2019 veröffentlichten Stellungnahme heißt. Foto: Carsten Rehder/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Von T. Braune, J. Emmrich, J. Gaugele,C. Kerl und L. Rethy

Doch kein prominentes Mitglied der Bundesregierung wollte sich in die Runde setzen, wie Anne Will gleich zu Beginn anmerkte.

Der Staatssekretär soll’s richten

Scheuer schickte stattdessen seinen Staatssekretär Steffen Bilger (CDU), der mit Unschuldsmiene erklärte, dass es doch eigentlich kein Problem in Deutschland gebe. Die Luft werde schließlich immer besser, Fahrverbote seien daher nicht verhältnismäßig. Unterstützung erhielt Bilger von der FDP-Umweltpolitikerin Judith Skudelny, die den Stickoxid-Grenzwert – zulässig sind 40 Mikrogramm je Kubikmeter Luft – als „politischen Wert“ bezeichnete und davor warnte, Autofahrer zu enteignen. Das widerum brachte Baerbock auf die Palme, schließlich sei der Wert europaweit gültig – und von der FDP mitbeschlossen worden.

Skandale und Gäste-Rankings: Diese fünf Dinge muss man über Polit-Talkshows wissen

weitere Videos

    Die Fronten waren klar: Auf der einen Seite Baerbock, die jede

    Auch interessant

    über die Art der Messung sofort abschmetterte. Auf der anderen Seite CDU-Staatssekretär Steffen Bilger und die FDP-Umweltexpertin Judith Skudelny, die für die Autofahrer in die Bresche sprangen – aber eben auch nicht erklären konnten, wie sich EU-Vorgaben und die berechtigten Interessen der Diesel-Besitzer unter einen Hut bringen lassen.

    Lungenfacharzt zweifelt an Kollegen

    Die Thematik ist komplex.

    Auch interessant

    Das zeigt das Beispiel Dieter Köhler. Anne Will hatte den Lungenfacharzt eingeladen. Der Mediziner veröffentlichte zusammen mit mehr als 100 Kollegen einen Brandbrief, darin stellte er die bisher gültigen Grenzwerte für Diesel und Feinstaub in Frage.

    Auch interessant

    ARCHIV - 27.02.2018, Baden-Württemberg, Stuttgart: Abgase kommen aus dem Auspuff eines Autos. Als erste deutsche Großstadt führt Stuttgart zum 1. Januar Diesel-Fahrverbote für eine gesamte Umweltzone ein. Foto: Marijan Murat/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
    Von Alexander Kohnen, Tobias Kisling und Jochen Gaugele

    „Sie zeigen nur, dass es einen Verdacht gibt – mehr nicht“, schimpfte er. Es werde das publiziert, was zur eigenen Linie passe. Ein schwerer Vorwurf in der Wissenschafts-Community.

    Stickstoffdioxid sei ein lebenswichtiges Gas, das der Körper selbst produziere, sagte Köhler. Wer raucht, setze sich zudem viel höheren Schadstoffkonzentrationen aus. Todesfälle durch NOX und NO2– so die chemischen Fachbegriffe – seien ihm nicht bekannt. Auch ein Grenzwert von 100 Mikrogramm Stickstoffdioxid sei kein Problem. Die Debatte um Fahrverbote hätte sich damit erübrigt.

    Empfohlener externer Inhalt
    An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
    Externer Inhalt
    Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

    Epidemologe widersprich: „Ein Exot, ein Außenseiter“

    Doch wie in der Politik gibt es eben auch in der Wissenschaft nicht nur die eine reine Lehre. Der Epidemiologe Heinz-Erich Wichmann widersprach seinem Kollegen vehement. „Herr Köhler ist ein Außenseiter und hat in der Forschung keinen Rückhalt“, sagte der Wissenschaftler. Wichmann nannte Köhler einen „Exot“, niemand, der Ahnung vom Thema habe, werde „solchen Unfug“ bestätigen. Die gesundheitlichen Gefahren durch Feinstaub und Stickoxide seien belegt.

    Wahr ist: Nur eine Minderheit der Lungenfachärzte in Deutschland unterschrieb Köhlers Brandbrief. Heißt das, dass der Mediziner falsch liegt? Nein. Es ist zu einfach, Köhler als Exoten abzutun – und die Debatte damit zu beenden. Das Problem: Für den Laien ist es schwer zu beurteilen, wer im Streit der Mediziner Recht hat. Das zeigte auch die Diskussion bei Anne Will am Sonntagabend, in der die Meinungen aufeinanderprallten, mit Fachbegriffen um sich geworfen wurde. Und die den Zuschauer ratlos zurückließ.

    Es wäre Aufgabe der Politik, die Richtung vorzugeben. Und zu sagen, wie beides geht: Fahrverbote vermeiden und die Luftqualität – zumindest da, wo viele Autos in den Städten unterwegs sind – weiter zu verbessern. Bei Anne Will jedenfalls war es nur Annalena Baerbock, die dazu eine Idee hatte.