Oper

„Le Nozze di Figaro“ – im Bett mit Mozart

| Lesedauer: 7 Minuten
Joachim Mischke
Opernregisseur Stefan Herheim, in großkopierte Mozart-Noten gebettet

Opernregisseur Stefan Herheim, in großkopierte Mozart-Noten gebettet

Foto: Roland Magunia

Am Sonntag hat Stefan Herheims Version von „Le Nozze di Figaro“ Premiere an der Staatsoper. Ein Gespräch über Haken und Ösen der Regie.

Hamburg.  Bei anderen Regisseuren würde man tief durchatmen, wenn kurz vor der Premiere auf ein „Worum soll’s hier eigentlich gehen?“ diese Antwort käme: „Wir sind noch unterwegs und versuchen noch, diese Frage zu beantworten.“ Aber da das Stück auf dem Prüfstand nicht irgendeine Wald-und-Wiesen-Oper ist, sondern Mozarts brutalstschwerer „Figaro“, und da nicht ein Irgendwer am Regie-Tisch der Staatsopern-Probebühne sitzt, sondern Stefan Herheim – deswegen geht dieser Zwischenstand in Ordnung. Seit nicht wenigen Jahren ist der in Oslo geborene und mit Theaterluft großgezogene Bratscher-Sohn eine ziemlich sichere Nummer, wollen große Häuser einen Prestige-Erfolg landen. Oder wenn sie insgeheim wissen, dass Herheims Konzepte, wenn sie mal nicht aufgehen, auf einem intellektuellen Niveau scheitern, das manche Kollegen gern beim Gelingen erreichen würden.

Herheim ist ausgebildeter Cellist und hat, wenn man Dabeigewesenen glauben darf, beim Suchen und Finden lohnender Haken und Ösen in Partituren eine Trefferquote wie ein NSA-Aufklärungssatellit. Aber, so sieht zumindest Herheim das: „Die Leute sind überhaupt nicht genervt, eher frappiert und überrascht, weil sie merken, was wirkliches Arbeiten sein kann.“ Hart Cello geübt habe er in seiner Jugend nicht, gesteht er, zu viel anderes war zu interessant. „Ich hab’ einfach nicht diese Scheuklappen.“ Und als er sich zwischen Gesang und Regie zu entscheiden hatte, verlor der Gesang. Die erste Bühne, auf der Herheim das absolute Sagen hatte, war das eigene Marionettentheater.

Seine Ausbildung hat Herheim, dessen Deutsch man den Skandinavier kaum noch anhört, in Hamburg absolviert, als Schüler der Musiktheater-Legende Götz Friedrich. Das Examen mit Mozarts „Zauberflöte“, danach drei Mal „Così fan tutte“, in drei Ländern und drei unterschiedlichen Versionen. „Ich war immer ein Mozart-Fanatiker.“

Was Herheim nicht davon abhielt, auch in ganz andere Stil- und Musik-Richtungen zu inszenieren. 2003, ausgerechnet im Mozart-Jubiläumsjahr, sorgte er mit einer „Entführung“ bei den Salzburger Festspielen, in der auch mal gebügelt wurde, für einen Aufreger, später wurde das Stück Kult. Er arbeitete an vielen ersten Adressen, auch in Bayreuth. Für 2020 bis 2022 hat er der Deutschen Oper Berlin zugesagt, den vom Stammpublikum geliebten „Ring“ von Götz Friedrich neu zu schmieden.

Drei Tage lang der Ohnmacht nah

Prägend wichtig neben diesem Lehrer war der damalige Staatsopern-Hausregisseur Peter Konwitschny, bekanntlich kein Kind von Traurigkeit beim Klassiker-Tranchieren. „Da ging wirklich noch mal ein Vorhang auf“, erinnert sich Herheim. Wochenlang über der Partitur der „Verkauften Braut“ brüten, alles in Frage stellen, konzeptionell hart rangenommen werden. Nur nicht zu schnell zu sicher fühlen, darum ging es. Einer der ersten Wegweiser-Eindrücke waren Konwitschnys „Hoffmanns Erzählungen“ in Dresden gewesen, ein „fast schockartiger Effekt“ war das“, er sei drei Tage der Ohnmacht nah gewesen, „weil ich gemerkt habe, was subversiv und gesellschaftsrelevantes, historisch lebendiges Theater bedeutet“.

Oper subversiv, diese hochsubventionierte Bildungsbürgerbespaßung? Ist das sein Ernst? Aber klar. „Vom Prinzip her ist sie subversiv, weil sie zur Sprache bringt, was allein Musik hörbar machen kann, Missstände nicht primär auf eine moralische, sondern emotionale Weise anprangert und dabei so manches – gelegentlich auch sich selbst – auf höchst sinnliche Weise ad absurdum führt. Das ist ja auch das Fantastische an dieser Kunstform, dass sie zugleich so geschlossen und offen ist und die Werke erst wirklich entstehen, indem sie (gegen die Erwartungshaltung des Publikums) neu zum Klingen gebracht werden.“

Ab wann er gemerkt hat, dass er in diesem so unberechenbaren Job halbwegs richtig sei? „Als Job habe ich das nie so richtig begriffen“, entgegnet Herheim. „Es muss sich immer wieder, von Produktion zu Produktion, neu bestätigen, ob man dafür geschaffen ist.“

Für ihn richtig ist das Musik-Theater zum Mitdenken aber offenbar so gut wie immer. „Sobald die Musik erklingt, passiert etwas mit mir. Das ist wie eine Droge. Da kann ich nicht still sitzen, da kommen sofort Ideen und die Gestaltungslust dazu. Es ist eine Art Seelenraum, den man gemeinsam mit anderen betreten und mit Leben füllen muss, und sie bietet jedes Mal eine Chance, sich selbst als Künstler zu erneuern und als denkender Mensch etwas dazuzulernen.“ Kurze Antworten sind Herheim zu einfach, der Suchtfaktor der Arbeit ist bei der Suche nach ihnen auch nicht ohne. Vor Kurzem erst endete eine mehrmonatige Zwangspause. „Ich hab’ wirklich verbrannt gerochen und war an einem Punkt angelangt, an dem ich wirklich nicht mehr hätte weitermachen können.“ Mit einigen Wiederaufnahmen lief der 45-Jährige danach wieder warm.

Was, wie, warum beim „Figaro“?

Und jetzt also zurück in Hamburg, zum ersten Mal seit dem Studium. Absicht oder gar Nestflucht sei das nicht gewesen, es habe in den vergangenen Jahren durchaus Anfragen gegeben, doch die hätten sich nicht mit Herheims Terminkalender vertragen. Der gilt nicht nur als professionell klug, er gilt auch als produktiv schwierig. Keiner von denen, der sich die musikalische Seite des Stücks aus dem CD-Booklet zusammenreimt.

Also. Was, wie, warum beim „Figaro“? Gar nicht so einfach. Dass ihm von Intendant Georges Delnon der Alte-Musik-Spezialist Ottavio Dantone in den Graben engagiert wurde, um die Philharmoniker historisch korrekt über die richtige Mozart-Spielweise zu informieren, ist ein weiterer Reiz des Neuen im vermeintlich Altbekannten. Und das Durcheinander im Alle-mit-jedem-Plot vom „Figaro“ ist ohnehin gefürchtet genug. Herheim will da keine ganz große Deutungsthese aufstellen.

Beim Feinkämmen von Text und Partitur ist ihm klar geworden: „Eigentlich überfordert dieses Stück den Menschen, weil es den Menschen ins Zentrum der Geschichte stellt. Jeder wird verpflichtet, die Optionen seiner Freiheit, Realität zu gestalten, neu zu definieren. Durch die gegenseitigen Projektionsmaßnahmen entfaltet sich eine theatrale Dynamik, die ihresgleichen sucht. Allein von der Sprache her ist alles unwahrscheinlich doppeldeutig und rhetorisch feinsinnig. Zudem vermittelt Mozarts Musik, dass alle Menschen dem verlorenen Paradies entspringen und auf der Suche nach ihrem Heil sind.“

Klingt nach Mozart als moralische Anstalt. „... der sich aber dummerweise selbst in dem Moment nicht ernst nimmt, wo man tatsächlich die Belehrung erwartet“, vollendet er die Idee. „Das macht es zu einer so großen Herausforderung. Das Geschehen tänzelt immer in andere Richtungen weiter, immer am Abgrund entlang. Für mich ist Mozart wie ein unendlich hohes Regal, das in den Himmel ragt. Egal, wie lange man klettert, man kommt nie bis ganz nach oben. Das muss man Gott sei Dank auch gar nicht.“

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