Hamburg. Der in Hamburg lebende Autor Henrik Siebold, mit bürgerlichem Namen Daniel Bielenstein, verpflanzte vor sieben Jahren einen ungewöhnlichen Ermittler in die deutsche Krimi-Landschaft: Kenjiro Takeda, Kommissar bei der Mordkommission in Tokio, ausgeliehen an die Hamburger Polizei. Sechs erfolgreiche Bände sind bereits erschienen, Die Takeda-Krimis haben eine große Fan-Gemeinde und wurden bereits mehr als 300.000-mal verkauft.
Ein Gespräch mit dem Journalisten und Schriftsteller, der einige Jahre selbst in Tokio gelebt hat, über die japanische Kultur, seine Zeit bei den Apachen in Arizona, seinen aktuellen Krimi „Schattenkrieger“ und den Jazz.
Siebold ist von Japan geprägt
Hamburger Abendblatt: Sie haben Ihre Kindheit größtenteils in Japan verbracht. Wie ist es dazu gekommen?
Henrik Siebold: Mein Vater hat Ende der 1960er-Jahre im Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tokio gearbeitet, so ist die Familie 1969 von Bonn nach Japan gezogen, als ich zwei Jahre alt war. Da begann eine sehr spannende Zeit.
Kulturell war es vermutlich ein kleiner Schock, oder?
Zumindest war es ein Ankommen in einer sehr anderen Welt. Heute ist die japanische Kultur globalisiert, in jedem deutschen Supermarkt gibt es Sushi. Das war damals noch nicht so, es war im besten Sinne exotisch. Aber da Japan ein sehr kinderfreundliches Land ist, war es für mich und meinen Bruder schon schön.
Siebold lebte auch unter den Apachen
Waren Sie auch in einem Kindergarten?
Ja, aber in einem deutschen, später auch auf einer deutschen Schule, die es damals bereits in Tokio gab. Darüber bin ich im Nachhinein sehr froh, denn bei aller Liebe zu Japan, das Erziehungssystem lässt sich definitiv verbessern. Die Kinder werden verhätschelt, bis sie in die Schule kommen. Dann fängt der Drill an, manches Mal schon in der Vorschule.
Japan ist nicht der einzige ungewöhnliche Ort in Ihrer Biografie. Sie haben auch ein Schuljahr bei den Apachen in Arizona verbracht.
Durch Japan hatte ich schon immer ein Interesse für andere Kulturen, weil ich in zwei Welten aufgewachsen bin. Sechseinhalb Jahre habe ich in Japan gelebt und danach immer mal wieder. Japan ist für mich Ausland und Heimat. Zurück in Deutschland, gab es die Möglichkeit, mich für ein Auslandsjahr zu bewerben. So bin ich in eine Reservation gekommen, zu den White Mountain Apachen.
Erstes Projekt war eine Art „moderner Karl May“
Eine sehr spezielle Erfahrung ...
Ich war 17 damals und kam aus dem für Jugendliche sehr freien Deutschland in dieses rigide Amerika. Es war ein echtes Erlebnis, inklusive allem, was man damals mit Indianern – oder Native Americans, wie man heute sagt – verbunden hat: Pferde, Wildnis, zur Jagd gehen, aber auch Gewalt, Alkohol, Rassismus.
Haben die Erfahrungen dort Ihr späteres Schreiben beeinflusst?
Ja, mein erstes Roman-Projekt war der Versuch, einen modernen Karl May zu schreiben. Dafür bin ich prädestiniert, dachte ich damals. Hat aber nicht funktioniert (lacht).
Erster Roman kam 2003 heraus
Nach einer Zeit im Journalismus ging es von den Fakten zur Fiktion. Ein Buch mit dem nahezu programmatischen Titel „Die Frau fürs Leben“ war 2003 Ihr erster Roman.
Genau, und die Initiative dazu kam von meiner Frau fürs Leben. Sie las diese sogenannte Frauenliteratur, die damals groß in Mode war, Bücher von Frauen für Frauen. Von Männern gab es das nicht, bis meine Frau sagte: „Schreib so etwas doch mal.“ Da habe ich es einfach versucht und das große Glück gehabt, dass „Die Frau fürs Leben“ ein krachender Erfolg wurde. Ich habe vier bis fünf weitere Bücher dieser Art geschrieben.
2016 erschien der erste Takeda-Krimi „Inspektor Takeda und die Toten von Altona“ unter dem Pseudonym Hendrik Siebold. Darin führen Sie einzelne Puzzlestücke zusammen: Erfahrungen mit Hamburg, der japanischen Kultur und dem Jazz. Takeda spielt leidenschaftlich Saxofon. Wie kam denn eigentlich genau der Jazz in Ihre Geschichten?
Japan ist ein absolutes Jazz-Land. Alle großen Jazz-Musiker waren in Japan. Die Japaner sind jazzbegeistert, und das begann schon weit vor dem Zweiten Weltkrieg, hat also nicht erst mit den amerikanischen Truppen angefangen. Der Jazz in Japan war immer eine Art kultureller Kontrapunkt zur eigentlichen japanischen Kultur, in ihm zeigt sich auch die Sehnsucht nach individueller Freiheit. Die Japaner tragen – entgegen aller tradierter kultureller Zuschreibung – auch etwas Expressives in sich. Wer schon mal in einem japanischen Trommelkonzert war, weiß, wovon ich rede.
Japan gilt immer noch als exotisch
Früher war das Bild von Japan geprägt durch Faszination und Fremdheit. Bei all dem, was sich geändert hat: Ist das heute immer noch so?
Absolut. Es bleibt schwierig, einen Zugang zu Japan zu finden. Auch, wenn Elemente der japanischen Kultur uns mittlerweile vertraut und selbstverständlich geworden sind – vieles bleibt, wenn man nach Japan reist, befremdend und fremd. Man kommt etwa nicht ohne Weiteres mit Englisch durch, auch nicht in Tokio. Und dort eine Straße zu finden, selbst wenn man sich den Namen notiert hat, ist eine Wissenschaft für sich.
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Auch in „Schattenkrieger“, Ihrem aktuellen Non-Takeda-Krimi, gibt es japanische Elemente. Es ist die Geschichte eines Ex-Elitesoldaten, der eine Ausbildung bei einem Zen-Meister in Japan macht, einen Imbiss auf St. Pauli eröffnet, doch schließlich holt ihn seine Vergangenheit ein: Er wird zum Auftragskiller. Gab es Anstöße für diese Geschichte?
Der wesentliche Anstoß ist biografisch. Ich bin ja auf den Straßen Tokios groß geworden, mit rein japanischer Nachbarschaft. Dort haben wir immer Samurai gespielt. Ich bin genauso mit japanischem Fernsehen aufgewachsen, also auch mit vielen Samurai-Geschichten. Dieses Bild eines melancholischen Kriegers, das der Samurai verkörpert, hat mich immer begleitet. Und genau das ist der „Schattenkrieger“: die Geschichte eines melancholischen Kriegers, der sich nach nichts mehr sehnt als Frieden, aber immer wieder in Kämpfe hineingezogen wird
Siebold ist von Kämpfen fasziniert
Kämpfe faszinieren Sie, oder?
Wenn ich überlege, welche Bücher und Filme mich begeistern, dann wird da immer rasant gekämpft. Warum nicht auch einmal so etwas schreiben? Der „Schattenkrieger“ ist ein sehr viel lauteres Buch geworden als die Takeda-Romane. Inspektor Takeda lebt von den leisen Tönen.
Außer, wenn er Saxofon spielt.
Genau.
Henrik Siebold: „Schattenkrieger“. Aufbau-Verlag, 381 Seiten., 12,99 Euro
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