Hamburg. Khatia Buniatishvili ist eine tolle Pianistin. Sie hat eine gut sichtbare internationale Karriere vorzuweisen, ihre Einspielungen werden groß beworben und offenbar auch ganz anständig gekauft, die Konzerte sind zahlreich und gut besucht. Sie hat eine exquisite Anschlagsfeinheit, für die so mancher etliches gäbe, einen tollen, sinnlichen Ton und eine eindringliche Bühnenpräsenz. Aber als Interpretin, man muss es wohl so deutlich schreiben und erklären, nervt sie oft und sehr.
Nicht, weil sie konkret schlecht spielen würde, dafür ist die Georgierin viel zu begabt und viel zu sehr eine Gefühlsriesin, beides schon ziemlich gute Voraussetzungen für ein Leben mit und für Musik. Sie weiß also, was sie tut und genau so, was sie lässt. Und wahrscheinlich noch viel besser, wie unmittelbar das auf ihre Fan-Gemeinde wirkt. Was tatsächlich und viel mehr so deutlich nervt, ist dieses Übermaß an gewollter, forcierter und unnötig verfremdender Eigenwilligkeit, mit der sie sich ihr jeweiliges Konzept-Repertoire zurechtschmust und manche wehrlose Stücke knietief ins Kitschige treibt. Oder andere, auch nicht schön, kurz und klein donnert.
Khatia Buniatishvili: Kuschlig wie der Kaschmir am Kaminfeuer
Für ihren Solo-Abend im Großen Saal der Laeiszhalle hatte Buniatishvili annähernd ablaufgetreu (eine Ligeti-Etüde, ausgerechnet, war dann doch gestrichen worden) an die Auswahl ihres letzten Solo-Albums gehalten. Dessen Titel „Labyrinth“ beschreibt, wahrscheinlich ungewollt, gut das Dilemma, in das man als Neugieriger bei ihren Auftritten gerät: Von Bach zu Satie und wieder zurück ging es bei diesem Recital, mit Zwischenstationen bei Schubert, Chopin und Liszt, bewusst ohne Zusammenhang, sondern weil es so schön von diesem und jenem etwas war.
Ohne Pause, rund 80 Minuten, ein einziger stream of consciousness sollte das wohl sein, eine Playlist aus vorwiegend Getragenem, bei der man Tempo-Zusammenhänge mitunter nur noch erahnen konnte. So kuschlig wohlig wie der gute Kaschmir-Pullover am Kaminfeuer, so gefühlig wie der Weichzeichner-Filter auf dem Instagram-Post vom Achtsamkeits-Workshop mit der besten Freundin auf dem Land. Es passierte nichts wirklich Wichtiges, das allerdings zog und zog sich.
Bach klingt bei ihr wie der frühe Chopin
Sie begann ihre Seelchenwanderung mit Saties 1. „Gymnopédie“, als einsames Nebelkerzchen in der Dämmerung inszeniert, und markierte damit gleich, wohin diese Reise gehen sollte. Bach, in Bearbeitungen von Liszt (ein a-moll-Präludium plus Fuge) oder ihr selbst (das „Air“ aus der 3. Orchestersuite, anjazzend dahingeperlt), klang bei Buniatisvili wie früher Chopin, nur mit mehr Kontrapunkt. Chopin dagegen wie Bach auf Baldrian, es sei denn, es ist ein herausfordernder Kraftakt wie die „heroische“ As-Dur-Polonaise.
Dann wurde, wie zuvor schon im grundsätzlich ja sehr schlicht gedachten e-Moll-Prélude, in krass herausgehobenen Passagen geradezu hektisch abwechselnd mit Gaspedal und Bremse gespielt. Aus der hochherrschaftlichen Polonaise wurde ein brachial gestreckter Galopp, bei dem Buniatishvili nahezu alles niedermähte, was im Weg stand. Doch ohne schlüssiges Gefühl für Konstruktion und Dramaturgie, für Spannungsbögen und das große Ganze blieb das „Heroische“ eine halbherzige, von fast schon zirkustauglicher Willkür überrumpelte Behauptung.
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Schuberts Ges-Dur-Impromptu endete als Zeitlupen-Chopin-Imitat und Liszts Des-Dur-„Consolation“ klang nach Zeitlupen-Schubert. Fast alles, was nicht wirklich schnell geschrieben wurde, wurde von Buniatishvili zusätzlich in Watte gepackt und durch reichlich Pedaleinsatz ins Harmlos-Hübsche hineinsediert. Auch die Taktik, an das Ende dieser Warteschleife einen echten Kracher zu stellen, um damit das womöglich selig dösende Publikum für den Schlussapplaus wachzurattern, hatte etwas nicht unterschwellig Unangenehmes.
Das Auge soll mithören, das war zu sehr die Devise
Denn Tschechow, alte Theaterregel: Wenn man auf der Bühne ernsthaft ein Gewehr zeigt, muss man tatsächlich auch mal damit schießen. Will heißen: Wenn man schon die Horowitz-Verschärfung von Liszts 2. Ungarischer Rhapsodie c-Moll aufs Programm setzt, für die man eigentlich eine Handvoll Extra-Finger bräuchte, muss man sie auch entsprechend spielen können. Man müsste also Yuja Wang sein.
Doch Buniatishvilis Trefferquote in den irrwitzigen Passagen hielt sich in deutlichen Grenzen und ebenso die Situationskomik, mit der Horowitz sich die Original-Schwierigkeiten noch schwieriger gemacht hatte. Was bei dieser Show-Einlage übrig blieb, war lediglich der Anblick mähnenwerfender Tastenakrobatik. Eine doch eher unscharfe Simulation von bewundernswertem Virtuosinnentum. Ein Auf-der-Zielgerade-aber-wirklich-alles-geben-Wow-Effekt. Buniatishvili bediente eine Erwartung, die sich mit dieser Oberfläche begnügen soll. Das Auge soll mithören, das war zu sehr die Devise. Und das war: nicht schön.
Aufnahme: Khatia Buniatishvili „Labyrinth“ (Sony Classical, CD ca. 15 Euro)
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