Elbphilharmonie

„Kunst ist kein Lutschbonbon vor dem Schlafengehen“

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Das Ensemble Resonanz feierte am Donnerstag seinen 20. Hamburg-Geburtstag in der Elbphilharmonie.

Das Ensemble Resonanz feierte am Donnerstag seinen 20. Hamburg-Geburtstag in der Elbphilharmonie.

Foto: Jann Wilken

Das Ensemble Resonanz feierte seinen 20. Hamburg-Geburtstag mit einem Jubiläumskonzert im Großen Saal.

Hamburg. Kaum zu glauben, was alles ging, gegen alle Widerstände. Die ersten Konzerte spärlichst besetzt und immer riskant, die Finanzdecke von Löchern zusammengehalten, die sehr bescheidene Unterkunft in der Laeiszhalle als Kellerkinder. Die „Kaispeicher entern!“-Konzerte, als große Träume an jener Adresse vor allem irre Träume waren. Und nun, zwei Jahrzehnte und viele Erfolge später, das Festtags-Besteck: Jubiläumskonzert des Ensemble Resonanz im Großen Saal der Elbphilharmonie, mit einem typischen Programm, das an den steinigen Weg bergauf auch in diese Kultur-Immobilie erinnerte.

Ensemble Resonanz: Beulen und Wunden von damals verheilt

Vom ebenso großen wie eigensinnigen Komponisten Helmut Lachenmann, einem engen Freund der Familie, stammt der Auftakt-Oneliner im Programmheft: „Kunst ist nun mal kein Lutschbonbon vor dem Schlafengehen.“

Und weil dieses Unbequemseinsollen nach wie vor richtig und wichtig ist, darf man auch schon mal so leicht sentimental werden, wie es dem Resonanzler-Geschäftsführer Tobias Rempe bei seiner Publikums-Begrüßung anzuhören war: Er sprach vom Weg, der „nur erfüllt war und am Anfang länger hart“. Die Beulen und Wunden von damals sind verheilt, das Streicherensemble ist das vierte große Orchester der Musikstadt Hamburg. Nur eben in etwas kleiner.

Den Anfang machte ein Lebenslauf-Klassiker

Altes und Neues, Eingängiges und Anspruchsstarkes, am liebsten knapp neben den Konventionen geparkt – genau so war auch die Programmkombination dieses Spezial-Konzerts, für das sich das Kammerorchester etliche Extra-Mitwirkende gegönnt hatte, um den üblichen Rahmen der Repertoire-Möglichkeiten zu weiten. Doch den Anfang machte ein Lebenslauf-Klassiker, die feingliedrige, rhythmisch sanft pulsierende Kombination aus John Adams’ „Shaker Loops“ und dem „Winter“ aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten“-Zyklus. Damit ging anno 2001 bei einem Konzert im damaligen Lieberman-Studio vieles los.

Ilya Gringolt nimmt seinen Solo-Part als virtuosen Kraftakt

Ihren Reiz hat diese Mischung nach wie vor. Adams’ Stimmengespinst leitete raffiniert über zum stürmisch ruppigen, mitreißenden ersten Auftritt von Ilya Gringolts. Der nahm seinen Solo-Part nicht als beschauliche Schlittenfahrt, sondern als einen virtuosen Kraftakt. Jede Phrase, jede Verzierung energisch nach vorne treibend, um nicht in die Verlegenheit zu geraten, statisch schön spielen zu wollen. Harter, toller Kontrast dazu: „Varianti“, früher Nono, seriell konstruiert, streng abgezirkelt. Musik, in der sich die Strukturen immer mehr auflösen, um der Fantasie zwischen den Tönen Freiraum zu geben.

Auch hier waren die von Stefan Asbury sicher geleiteten Resonanzler ganz bei sich; ganz nah an der Absicht dieses Irrlichterns, das das Hören hinein in die Stille förderte. Gringolts zeigte eine andere Solisten-Seite, die des klugen Avantgarde-Durchdringers. Schöne Grüße übrigens an die Person, die ihren Handy-Bimmelton genau dort mit dem Rest des Saals teilte.

„Marche fatale“ klingt nach hackevoller Schützenfest-Kapelle

Nach der Pause ging es mit extremen Gegensätzen weiter. Das größer arrangierte Adagio aus Bruckners F-Dur-Streichquintett war eine Meditation über Endlichkeit, dunkel wagnernd und pathetisch getragen, die gleichzeitig auch die Sehnsucht nach einer voll besetzten Bruckner-Sinfonie in Töne fasste.

Letzte Pointe war nach dem vorangegangenen Nono-Klassiker ein brachial untypisches Stück seines Schülers Lachenmann: „Marche fatale“, ein brüllend alberndes Spätwerk, das mit Pauken und Blech und überdrehtem Humor nach so ziemlich allem klingt, vor allem nach hackevoller Schützenfest-Kapelle, aber nicht nach den radikalen Klangerkundungen Lachenmanns. Ein weiterer Purzelbaum, der zeigte: Die nächsten Resonanz-Jahrzehnte können kommen.

Konzerte und Projekte zum Jubiläum: www.ensembleresonanz.com

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