Elbphilharmonie

2G: Gershwin und Glücksgefühle im Großen Saal

| Lesedauer: 5 Minuten
Ein seltener Gast in der Elbphilharmonie: Yo-Yo Ma ist seit der Eröffnungssaison 2017/18 nicht mehr auf dieser Bühne aufgetreten.

Ein seltener Gast in der Elbphilharmonie: Yo-Yo Ma ist seit der Eröffnungssaison 2017/18 nicht mehr auf dieser Bühne aufgetreten.

Foto: Peter Hundert / Peter Hundert (NDR)

Bei der „Opening Night“ des NDR Elbphilharmonie Orchesters begeisterte Yo-Yo Ma. Alan Gilbert dirigierte vor allem US-Amerikanisches.

Hamburg. Vielleicht ist, ganz gegen die klassische Gewohnheit, die mittige Zugabe der beste Einstieg in die Besonderheit dieses Abends, der nun wirklich einiges an Besonderheiten bieten konnte: Der große Auftritt mit dem geradezu kriminell übersehenen und unterschätzten Cellokonzert von Samuel Barber war vorbei. Ein American Classic Baujahr 1946, chromschimmernd und souverän aufbrausend, hatte das weitgehend vorahnungslose Publikum in seinen Bann gezogen. Und 1300 begeisterte Menschen im nun wieder angenehmer gefüllten Großen Saal der Elbphilharmonie wollten den Star-Gast nicht so ganz ohne Extra von dieser Bühne lassen. Schließlich ist es viereinhalb Jahre her, dass er zuerst und zuletzt zugleich in Hamburg war, damals unter anderem mit dem Cellokonzert von Esa-Pekka Salonen.

Also rückte Yo-Yo Ma vom Podest des alleskönnenden Virtuosen ganz selbstverständlich etwas weiter nach hinten, in die örtliche Cello-Gruppe, die ihm bei den Proben vorgeschlagen hatte, ob man nicht noch ein Arrangement von Gershwins „Summertime“ spielen könnte. Klar doch. Und dann spielten sie das gemeinsam, wie alte Kumpel, die sich ein paar schöne Minuten machen wollten, bevor sie irgendwo noch einen heben; und Ma zauberte und streichelte die Blue Notes so lässig aus seinem Instrument, als wäre es dafür gebaut worden. So etwas kann nur er. Dieser Musiker könnte ein altes Telefonbuch von Neumünster vorspielen, und es wäre toll, immer noch, genau deswegen.

Kein Doppelgriff, kein Saiten-Salto war unmöglich

Die Saisoneröffnung des NDR Elbphilharmonie Orchesters hatte damit ihre Mitte gefunden und ihr Ziel erreicht: neugierig zu machen, wieder neugierig zu machen nach den bedrückenden, verheerenden Monaten der Zwangspause und Stilllegung, nicht nur auf die Saison an sich, sondern auf die Showcase-Angebote der nächsten Monate mit US-amerikanischen Meisterwerken. Da lag es zur Begrüßung sehr nahe, dass der New Yorker Alan Gilbert mit den „Symphonic Dances“ aus Bernsteins „West Side Story“ dem sprichwörtlichen Affen gleich einen großen Sack Zucker spendierte.

Dass Gilbert mit dieser Musik und mit ihrer Einstellung zum Leben groß geworden ist, sah man ihm an; dass das Hamburger Orchester sich hin und wieder noch etwas lockerer in der Hüfte hätte machen sollen, hörte man dem Ergebnis an. Aber: what shall’s, auch eine etwa 80-prozentige Bernstein-Interpretation ist immer noch viel tolle Musik von Bernstein, die Percussion-Abteilung und das hohe Blech hatten vor allem beim „Mambo“ reichlich Spaß an dieser Party.

Samuel Barbers Cellokonzert: verschattet, grübelnd, introspektiv

Diese Art von Spaß war gerade nicht ein Daseinszweck, auf den Samuel Barber sein Cellokonzert ausgerichtet hatte. Es ist eher verschattet, grübelnd, introspektiv. Elgars Melancholie und Schostakowitschs tiefenbohrender Sarkasmus kommen hier auf einen nur oberflächlich spröden Nenner. Die Hoffnung auf Verlieben auf den ersten Blick in dieses Werk ist eher klein, es wirkt bei der ersten Begegnung zu unhandlich, zu undankbar anspruchsvoll, die thematischen Ideen des Kopfsatzes sind nicht zwingend sympathisch, sie wollen erobert und verstanden werden.

Einfaches Spielen wird den stegakrobatischen Herausforderungen, mit denen der Solist sich abzumühen hat, nicht gerecht. Das Anwaltsmandat für diese gute Sache übernahm Ma nur zur gern, mit einem Ton, der glühte vor Ausdruckswollen und, man darf das wohl so groß einschenken, Aufrichtigkeit. Und keine Pirouette, kein Doppelgriff, kein Saiten-Salto war unmöglich oder zumindest unsicher.

2G: Eine launige Übersetzung von „An American in Paris“

Selbst unter größten dramaturgischen Verrenkungen ließe sich die große Uraufführung einer Auftragsarbeit nicht ins Gesamtkonzept des Abends einfädeln. Mark-Anthony Turnage ist und bleibt Brite, die drei Teile von „Time Flies“ waren gemeinsam vom NDR-Orchester, der BBC und dem Tokyo Metropolitan Symphony bestellt worden, als klingendes Stadtpanorama-Triptychon. Corona hatte mehrere Premieren-Anläufe ausgebremst, nun aber sollte es sein. Nichts Amerikanisches also weit und breit, dafür aber eine allzu große Menge Musik fürs Honorar. Turnage hatte „London Time“, „Hamburg Time“ und „Tokyo Time“ so massig orchestriert, als hätte er seine Ideen nach Noten-Gewicht abrechnen dürfen. Vieles war zu dicht, zu dick, die klug ausgetüftelten Pointen mit Jazz-Anspielungen und Klangschichtungen versanken im Ehrgeiz, effektvolle und zugleich gefällige Wellness-Avantgarde zu sein.

Beim Nach-Konzert-Empfang, erstmals unter 2G-Bedingungen, sollte NDR-Intendant Joachim Knuth am späteren Abend die 2G zu „Gershwin“ und „Glücksgefühle“ umdeklinieren. Gänzlich verkehrt war diese launige Übersetzung nicht, denn der Entertainment-Faktor von „An American in Paris“ war beachtlich. Schon wieder eine prallvolle Bühne, und dann dieser charmant federnde Sound, der nach Broadway und Hollywood klang, nach unbeschwertem Vergnügen und Lebenslust. Gilbert genoss das, und mit ihm der gesamte Saal.

Der Konzert-Stream ist bis zum 30.11. auf www.elbphilharmonie.de und ARTE Concert abrufbar. CDs: Yo-Yo Ma „Notes For The Future“ mit Angélique Kidjo, Lila Downs u.a. (Sony, erscheint am 10.9.). „Hope Amid Tears“ Yo-Yo Ma und Emanuel Ax (Klavier) mit den Beethoven- Cellosonaten (Sony Classical, ca. 12 Euro)

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