Hamburg. Es hätte deutlich höher hergehen können bei dieser Lesung. Schließlich ist Monika Maron seit Jahrzehnten nicht irgendwer mit Buchvertrag, sondern eine berühmte streitbare Autorin, groß geworden und gereift in der DDR, unbequem und gesamtdeutsch wichtig geblieben auch nach deren Ende.
Das Alterswerk pflegen und honorig wirken, das wäre also durchaus gegangen. Wäre da nicht 2020 dieser Ärger gewesen, als die 79-Jährige nach vier Jahrzehnten beim S. Fischer Verlag auf die Idee kam, Essays nicht mehr dort, sondern im Umfeld neurechter Autoren und Aktivisten im Eigenverlag einer befreundeten Dresdner Szene-Buchhandlung veröffentlichen zu wollen.
Weil womöglich Marons Moralkompass angesichts der vielen parallel verwirrenden Zeitgeschehnisse mitunter nicht mehr so recht erkennen mochte, wo das gute alte rote Links endete und wo das neue böse angebraunte Rechts begann. Was heutzutage sehr wahr sei und was höchstens halbwahr behauptet. Wo noch richtig war, wo schon falsch oder gar gefährlich. Das ist kein Einzelfall und wurde damals ein kurzfristig heftig debattiertes Haltungsproblem für Maron.
So war die Lesung mit Monika Maron in Hamburg
Schluss mit S. Fischer im Zorn also, es kam der Wechsel ins Sortiment von Hoffmann und Campe, nach Hamburg. Und als Erstes erschien dort nicht die nächste aneckende Streitschrift, sondern ein launig routiniertes, politikfreies Erzählungchen darüber, wie sie zu ihrer handlichen Hündin kam und die zu ihr. Bonnie wurde bei der Lesung im Palais Esplanade wie zum Vorab-Druckausgleich unter dem Tisch geparkt, während Maron etwas über Herrin und Hündin vorlas und Ulrich Wickert daneben entspannt darauf wartete, hundelose Fragen zu Marons Weltbild zu stellen.
Denn erst nach dieser literarischen Fingerübung folgte unter der rhetorischen Überschrift „Was ist eigentlich los?“ ein kompakter Schnelldurchlauf durch Marons Sinneswandlungen und Nachdenklichkeiten der vergangenen vier Jahrzehnte; gesammelte Texte, gebündelte Ansichten zu Deutschland überhaupt und zur anstrengenden Gegenwart an sich. Verjährungsfristen haben insbesondere ihre jüngeren Texte nicht. Ihr 2013er-Essay übers Zeitungslesen („mein letzter Text für den SPIEGEL“, begann Maron halblaut, danach habe man sie „sarrazinmäßig rausgeschmissen“) hatte die Unterzeile „Bin ich vielleicht verrückt geworden?“ und beantwortete sich die Frage dann selbst: mit der nächsten Frage, ob nicht vielleicht alle anderen und ganz besonders manche Medien noch viel verrückter geworden seien.
Dann konstatierte sie sich selbst eine „Angststörung“ und wurde genauer und sarkastischer: „In meinem Fall soll es sich um Islamophobie handeln.“ Wickerts Nachfrage-Methode zu diesem Kompendium und seinen nicht immer planen Bedeutungsebenen blieb eher wohltemperiert und unaufgeregt; anstatt die Selbsterklärungen der Autorin neben sich etwas vehementer zu hinterfragen, beließ er es mit der Routine von gefühlt sieben Jahrzehnten „Tagesthemen“ beim versonnen wirkenden Reizwort-Bingo, um so zu anderen interessanten Repliken zu gelangen.
Aufreger für Aufreger wurde kurz zur Begutachtung ins Bild gerückt
Scheinbar harmlose Fragen, gleich als erste kam „Was ist deutsch?“, erhielten vorwiegend unverfänglich klingende Antworten, in denen aber einige Wording-Widerhaken steckten: „Deutsche Literatur, Musik, Geschichte und Gegenwart. Man kann bei vielem stolz sein und manchmal etwas verzweifelt. Und mich bedrückt fehlender Mut.“ – „Wozu?“ – „Zu dem zu stehen, was man ist und was man denkt. Wenn alle offen ihre Meinung sagen würden, wäre es ein anderes Land.“
Warum, wie, weswegen? Und sagte gerade nicht auch Maron offen, ungebremst ihre Meinung? Zur Detailanalyse derartiger Ansichten kam es nicht, auch die These, man dürfe mit „bestimmten politischen Absichten“ nicht mehr ins Fußballstadion, blieb unbelegt in den Raum gestellt.
Aufreger für Aufreger wurde kurz zur Begutachtung ins Bild gerückt. DIE Gendersprache? „Eine diktierte Reform, diktiert von denen, die an den Hebeln sitzen.“ DIE Multikulti-Gesellschaft, DIE Heimat? „Wo Multikulti ist, ist gar keine Kultur mehr. Und sagt ein Deutscher, er liebt seine Heimat, ist er völkisch.“ Ein feinsinniger Retour-Dialektiker wie der HoCa-Hausgott Heinrich Heine wäre bei solchen Steilvorlagen wohl zu funkelnder Höchstform aufgelaufen. Wickert, ganz die noble französische Denk-Schule, konterte an dieser Stelle forsch und schnell und richtig, man müsse das H-Wort eben unbedingt sehr positiv besetzen, anstatt es in falschen Händen zu belassen.
„Sind Sie rechts?“ – „Kommt drauf an, wer das sagt …"
Auch der kurze Positions-Dialog zeigte, wie komplex politische Selbstverortung inzwischen ist. „Sind Sie rechts?“ – „Kommt drauf an, wer das sagt … Ich würde Sahra Wagenknecht wählen, weil sie eine aufrechte linke Person ist.“ Im 2019er-Text für die „NZZ“ über „Unser galliges Gelächter“, den Maron als Finale vorlas, ballten sich besonders viele Konflikt-Vokabeln.
Es ging um „genderisierte Sprachverstümmelung“, um Windräder und „Hunderttausende Einwanderer“, um die „tägliche Weltuntergangs-Drohung“, und auch solche Sätze gab es: „Man hätte sich fragen können, was die Menschen auf die Straße treibt … Aber Rechte fragt man nicht, mit Rechten redet man nicht … Wer oder was rechts ist, entscheidet jeder, der sich für links hält … Es gibt auch in einem Rechtsstaat Möglichkeiten, Menschen wegen unerwünschter Meinungen die Existenz zu erschweren oder sogar zu zerstören.“ Applaus, Blumen, Signieren, Schluss.
Bücher: „Was ist eigentlich los?“ (Hoffmann und Campe, 192 S., 22 Euro). „Bonnie Propeller“ (Hoffmann und Campe, 64 S., 15 Euro)
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