Hamburg. Manchmal muss es vielleicht einfach der gute alte Johann Sebastian Bach sein, in diesen sonderbaren Zeiten erst recht, womöglich. Dann ist es schön und vor allem ungemein beruhigend, sich mit derart klaren Strukturen auseinanderzusetzen. Mit Musik, die überragend gut „gebaut“ ist, die mit kompositionstheoretischen Affekten und instrumentalen Effekten gleichermaßen geschickt umgeht.
So gesehen, war die in so ziemlich jeder Hinsicht gute Stunde mit zwei Dritteln der Brandenburgischen Konzerte im Großen Saal der Elbphilharmonie eine rezeptfreie Reha-Maßnahme, um etwas herunter zu kommen vom Dauer-Stress-Pegel zwischen Delta und Corona. Musik zu begegnen, die kunstfertig ist, absolut und zeitlos, aber nicht aufdringlich.
Goebel dirigiert Bach: Da sitzt jede Phrase
Rappelvoll war es beim ersten der zwei Kurz-Konzerte allerdings weder in den Publikumsreihen noch auf der Bühne. Reinhard Goebel ist nun mal nicht dafür bekannt, beim spielenden Personal unnötig groß aufzufahren, weniger ist ihm im Zweifelsfall lieber, weil dann die Architektur klarer wird. Mehr als
höchstens ein knappes Dutzend Mitglieder der Berliner Barocksolisten waren es deswegen auch nicht.
Doch wenn Goebel mit viel Verve und Nachdruck Hits oder Raritäten der Alten Musik dirigiert, hat das immer auch etwas von einem Crash-Kurs in historisch sehr informierter Aufführungspraxis. Da sitzt jede Phrase, da schlackert nichts in der Dynamik. Und jedes Tempo hinterlässt in Relation zu den Details und dem Ganzen den Eindruck, dass es um Himmels willen nicht langsamer oder schleppend werden darf.
Kunst-Handwerk und etwas Natur-Idyll
Die Reihenfolge des Abends orientierte sich an Show-Wert der jeweiligen Konzerte: Beginnend mit dem Dritten zum Warmwerden, gefolgt vom Vierten, in dem die zwei Solo-Blockflöten etwas Natur-Idyll in den Saal zauberten. Das Sorgenstück des Sechserpacks – Konzert Nr. 5 – positionierte Goebel strategisch geschickt in der Mitte.
Denn bei aller Liebe zum Spezial-Werkzeug für Bach und seine Zeitgenossen: Selbst mit hörbar viel Wohlwollen und Zurückhaltung aller Beteiligten hatte der Cembalist Raphael Alpermann es arg schwer, mit dem nun mal kleinen Ton seines Instruments gegen die anderen Stimmen hörbar zum Tragen zu kommen. Ein 2000er-Saal, selbst dieser Güteklasse, ist dafür wohl einige Nummern zu groß.
Dafür entschädigte Goebel im Finale mit Konzert Nr. 2, bei dem sich die Solo-Bläser – allen voran der vorzüglich höhensichere Reinhold Friedrich – die Motive zuspielten, dass es nur so eine Freude war. Kunst-Handwerk im souveränsten Sinne des Wortes.
Aufnahme: J.S. Bach „Brandenburgische Konzerte“ Berliner Barocksolisten, Reinhard Goebel (Sony Classical, CD ca. 13 Euro)
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