Hamburg. Dass die doch relativ große Musikstadt Hamburg sich vom eher kleinen Husum mit jahrelanger Verspätung durch ein Elbphilharmonie-Konzert vorführen lassen muss, wie großartig und technisch überragend Marc-André Hamelin ist, das darf manchem hier gern zu denken geben. Als Auswärts-Spiel des extrafeinen Sommer-Spezial-Festivals „Raritäten der Klaviermusik“, wo er seit Jahren Stamm-Star ist, war der oft als Turbo-Pianist unterschätzte Kanadier am Sonntag mit Repertoire-Leckerbissen zu Gast. Einen Notenberg, über zwei Stunden und drei Zugaben später war klar: Er sollte hier kein Unikat bleiben.
Seine Brillanz macht Hamelin so schnell niemand nach
Das Vorurteil, Hamelin sei immer eine absolut unfehlbare Notenzentrifuge, entkräftete er gleich zu Beginn. Denn selbst für ihn war die klangmächtige Busoni-Bearbeitung von Bachs Orgel-Präludium und Fuge D-Dur BWV 532 ein stellenweise zu unhandlicher, überfordernder Kraftakt. Nicht alle Oktav-Salven waren nur Oktaven. Danach allerdings spielte Hamelin mit souveräner Meisterschaft, fast stoisch mit dem Material arbeitend, seine Stärke aus.
Eine Stärke, die nicht immer mit poetischer Ausdrucksstärke Hand in Hand ging, weil einige der ausgewählten Komponisten dazu neigten, die ohrenscheinlichen Virtuosen-Wirkungen mitunter wichtiger zu nehmen als die Substanz ihrer Ursachen. Aber selbst wenn es in den Wunderbarkeiten eines Catoire, die exzentrisch auf Wagner-Wonnen anspielten, wie harmonisch verschachteltes Kunstturnen für zehn Finger wirkte oder in der ersten Feinberg-Sonate das große Spätromantik-Besteck vorgezeigt wurde – seine Brillanz, ohne die solche Werke gänzlich unerhört blieben, die macht Hamelin so schnell niemand nach.
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Charmant und toll geriet das Finale
Und bloß, weil Hamelin beidhändig Höchstschwierigkeiten wegschaufeln kann, heißt das nicht, dass er dabei nicht auch zur Feinstzeichnung von Details fähig wäre. In Skrjabins Fantasie op. 28 zauberte er subtil schillernde Dämmerstimmung herbei; in Liszts weltentrückter „Bénédiction de Dieu dans la solitude“ war keine Bodenhaftung mehr zu hören. Maßgeschneidert und effektprall war Hamelins eigene Chaconne; in seiner Toccata über den Mittelalter-Hit „L’homme armé“ ging das Spiel mit dem Risiko weiter.
Charmant und toll geriet das Finale, Godowskys „Wein, Weib und Gesang“-Bearbeitung, die zu Recht „Symphonische Metamorphosen“ getauft wurden, weil ein Flügel ein ganzes Wiener Strauß-Orchester zu simulieren hatte. Ein circensisches Schmäh-Spektakel, so selbstverständlich hingewalzert, als hätte er mittendrin auch noch mit Pudel-Welpen jonglieren können, ohne deswegen je aus dem Takt zu kommen.
Info: www.raritaeten-der-klaviermusik.de
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