Konzertkritik

Les Arts Florissants feiern sich selbst in Elbphilharmonie

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Joachim Mischke
William Christie dirigiert das Les Arts Florissants Ensemble (Archivfoto).

William Christie dirigiert das Les Arts Florissants Ensemble (Archivfoto).

Foto: picture alliance

William Christie und sein Barock-Ensemble gratulierten sich im Großen Saal zum 40-jährigen Bestehen. Ein Fest auch fürs Publikum.

Hamburg. Was derart innig ist und derart selbstverständlich, das darf man dann wohl, nach 40 gemeinsamen Jahren, als Liebe bezeichnen. Zwischen das französische Alte-Musik-Spezialistenensemble „Les Arts Florissants“ und den gebürtigen Amerikaner William Christie passt längst kein Blatt mehr, so eng und harmonisch ist diese musikalische Gruppendynamik. Der einzige, der dort als andere Hälfte der Doppelspitze mitdirigieren darf, ist der Tenor und Co-Chef Paul Agnew.

Es gab ständig liebliche Details zu entdecken

Als Fachmann fürs Feinfranzösische hat Christie weltweit einen exzellenten Ruf. Diese sensibel ausschwingende Musik, die so ganz anders ist und wirkt als Zeitgleiches aus England, Italien oder Deutschland, wird unter seiner Leitung immer zu gefühlter Ballettmusik, auch wenn gar keine Tanzeinlagen vorgesehen sind. Alles ist enorm stilsicher durchdacht, wird mit Raffinement und Eleganz zum Funkeln gebracht. Auf extremes Aufschäumen wie in den Rameau-Interpretationen von Teodor Currentzis kann man bei Christie sehr lange warten.

Zum 40-jährigen Bestehen dieser Lebensgemeinschaft haben sich Christie und Co. ein besonders repräsentatives Programm herausgelegt: Repertoire-Tafelsilber aus England von Händel und Purcell, dazu höfische Prunk-Stücke von Charpentier, Lully und Rameau, alle prominenten Schutzheiligen des Ensembles waren also vertreten. Und wie classy der lange Abend sich entwickeln würde, wurde schon mit den ersten Tönen angekündigt. Denn die Sinfonia aus Händels „Atalanta“ begann, wie aus dem Barock-Bilderbuch entnommen, mit einem kurzen swingenden Armdrücken zwischen Pauken und Trompeten, bevor das Orchesterchen resolut einsetzte. Vorhang auf, die Show beginnt.

Gourmet-Abteilung mit lieblichen Details

Alle Champions-League-Konsumenten durften sich kurz über die Coronation Anthem (aus „Zadok the Priest“) des brillanten Chors freuen, bevor es wieder in die Gourmet-Abteilung ging, in der es ständig liebliche Details zu entdecken gab, die der effektclevere Christie wie besondere Gewürze in seinem Hit-Pasticcio versteckt hatte: die wunderbar wettstreitenden Flöten in Purcells Oden an die Musik „Welcome to all the pleasures“.

Der instrumental scharf nachgezeichnete Tanz der Feen aus Purcells „The Fairy Queen“. Die federleichte Lässigkeit, mit der die Sopranistin Sandrine Piau in „Tornami a vagheggiar“ aus Händels „Alcina“ mit den Da-capo-Koloraturen jonglierte; die sehnig-hellen Männerstimmen, von Countertenor Christophe Dumaux ebenso wie von Tenor Marcel Beekman. Sensationell gut: Lea Desandre, die bei Händels Herzenswringer-Arie „Scherza infida“ schon mit wenigen silberzart gesungenen Mezzo-Tönen eine Klasse bewies, die auch Christies sicheres Ohr beim Entdecken von Ausnahmetalenten unter Beweis stellte.

Richtung Versailles nach der Halbzeitpause

Halbzeitpause, danach zurück über den Kanal, Richtung Paris, Richtung Versailles. Und da war es dann keine Barock-Prominenz, sondern ein bittersüßes Liedchen vom Charpentier-Zeitgenossen Honoré d’Ambruis über Liebe und Leiden, das anrührte und nicht eine Spur von vorgestrig war. Im Gegenteil, da schlenderten der Bariton Marc Mauillon und der Theorbe-Spieler Thomas Dunford so niedergeschlagen über die Bühne, als hätten sie sich ihren Korb gerade in einer Schanzen-Bar eingefangen.

Nach einer Kostprobe aus Lullys „Atys“ und Szenen aus zwei Rameau-Klassikern – mit Szenenapplaus für einen sehr campen Auftritt von Beekman in Matronen-Kostüm – holten Christie und Agnew noch ein letztes Mal weit aus: Mit etlichen Passagen aus Rameaus Spektakel-Ballett-Oper „Les Indes Galantes“. Die Ensembles und die Chöre schnurrten gekonnt und nobel durch, bei der Erdbeben-Episode verzückte die Kreativität beim Nachspielen der Naturkatastrophe im Schlagwerk. Der berühmte „Danse de Sauvages“ wurde grazil abgezirkelt, mit sanft federnder Noblesse und Anmut. Für die Rameau-Zugabe, dessen „Tendre amour“, trat das gesamte singende Personal an die vordere Bühnenkante, und Christie führte ein letztes Mal sein beidhändiges Gestenballett vor.

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