Hamburg

Elbphilharmonie: Hier gehen todsicher alle unter

| Lesedauer: 3 Minuten
Joachim Mischke
Renate Behle, Otto Katzameier und Marisol Montalvo (v.l.n.r.) in der "Thérèse"-Inszenierung von Georges Delnon.

Renate Behle, Otto Katzameier und Marisol Montalvo (v.l.n.r.) in der "Thérèse"-Inszenierung von Georges Delnon.

Foto: Hans Jörg Michel / Staatsoper Hamburg

Zolas "Thérèse" wurde im Kleinen Saal für eine Literatur-Oper in ein klaustrophobisches Bühnenbild geklemmt.

Hamburg. Es ging übel los und endete noch schlimmer: Der erste Tote, in der Seine ertränkt, wurde per Hörspiel-Einblendung als Ouvertüre vorangestellt, die letzten zwei, doppelter Gift-Selbstmord, verendeten im Finale. Drei der gerade mal vier von sich selbst erledigten Gestalten – ein Mann und eine Frau, die auch seine Cousine ist, ihr Liebhaber und eine Tante – überlebten diese Geschichte nicht.

Platz genug für Beziehungsdramen, die derart fatal enden, ist auch in der engsten Hütte. Also begnügten sich Komponist Philipp Maintz und Regisseur Georges Delnon damit, ihre Vertonung und Verszenung von Zolas Kleinbürger-Roman "Thérèse Raquin" in ein klaustrophobisches Bühnenbild zu klemmen, grundiert von einem Kammerorchester.

Im April hatte diese Affären-Katastrophe ihre Uraufführung auf einer Neben-Bühne bei den Salzburger Osterfestspielen, bestellt von Noch-Intendant Peter Ruzicka; nun wurde die Kooperation mit der Hamburger Staatsoper, an der Delnon Ruzickas Nach-Nach-Nach-Nachfolger ist, auch im Kleinen Saal der Elbphilharmonie gezeigt. Wobei: Zu sehen im klassischen Sinne gab es in den 90 Minuten arg wenig, denn Delnons Regie-Konzept machte wenig Anstalten, sich vom bloßen Platzieren des singenden Personals zu lösen.

Montagetechnik erinnert an Kino-Filme

Wie Spielfiguren in einer unentrinnbaren Zwickmühle wurden die Charakter auf dem bisschen Brett-Platz von da nach dort verschoben. Guckkasten-Bühne war das oberste Gestaltungsprinzip von Marie-Thérèse Jossen, etwa sieben Farben Schwarz (und da waren die Kostüme noch nicht mitgerechnet), laufstegartig nach hinten verlängerte Tische in dieser Ernüchterungszelle. An der Rückwand hing eine Gemäldegalerie aus Seestücken, die signalisierten: Hier gehen todsicher alle unter, eher früher als später. Videoprojektionen vergrößern einiges, intensivieren aber nicht alles. Die Montagetechnik der 42 Szenen erinnerte an Kino-Filme, bremste aber auch den Sog der Geschichte.

Was man aus dem Roman nicht erzählen kann in einer Literatur-Oper, das müsste man vertonen? Maintz‘ Absicht, diese Notwendigkeit zu realisieren, war löblich, doch das Ergebnis war nicht immer stark. Zu monochrom, passend zum Tableau, wirkte das meist zu anschaulich bebildernde Raunen, Stöhnen, Kreischen des Philharmoniker-Ensembles, das Nicolas André sicher und sensibel ins Verderben steuerte. Diese Musik möblierte den Text vor allem, sie transzendierte zu wenig. Dass hin und wieder ein Akkordeon (morbide Anspielung auf Pariser Musette-Melancholie?) elegisch dazwischenging, verfeinerte die kunstgewerbliche Gediegenheit der Partitr zu selten.

Befremdend faszinierend, aber zu spät

Doch auch dem Ensemble war es nicht vergönnt, aus dem Korsett der Sprechgesang-Vorliebe zu entfliehen. Marisol Montalvo, großartig expressiv durchdrehend, war als Thérèse ähnlich nah an den Wahnsinn gebaut wie ihr Geliebter Laurent. Otto Katzameier – kurioserweise auch Autor des Librettos – sang ihn erst viril, dann rasant zerfallend. Der Countertenor Tim Severloh hatte das undankbare Pech, den windelweichen Schlappschwanz Camille geben zu müssen, der bis zum frühen Tod lediglich eine gut entbehrliche Handlungsrequisite darstellte.

Andererseits umso beeindruckender, je gelähmter und sprachloser sie zu werden hatte: Renate Behle als hilflos strandende Madame Raquin, die morsch und müde zusehen und zuhören musste, wie ihr früheres Pflegekind und ihr anfangs so strammer Lover in eine Schicksals-Ecke hineinlitten, aus der sie lebend nicht mehr herausfanden. Erst in den letzten Szenen gelang es der zerfasernden Musik, sich aus der Umklammerung der selbstverordneten Enge zu befreien. Was schön war, sehr eigen und befremdend faszinierend. Aber eben auch: zu spät.

Weitere Termine: 21. / 22. Mai, 19.30 Uhr, Elbphilharmonie, Kl. Saal. Restkarten an der Abendkasse.

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Kritiken