Hamburg

Elbphilharmonie: Barenboim und Mozart – leider lauwarm

| Lesedauer: 5 Minuten
Joachim Mischke
Star-Dirigent Daniel Barenboim in der Elbphilharmonie in Hamburg.

Star-Dirigent Daniel Barenboim in der Elbphilharmonie in Hamburg.

Foto: Elbphilarmonie / Daniel Dittus

Star-Dirigent und Staatskapelle klangen genial, aber etwas zu routiniert. Einer hatte mit der Elbphilharmonie-Akustik großen Spaß.

Hamburg. Wenn ein Daniel Barenboim von auswärts für einen Auftritt anreist, dann redet man ihm lieber nicht mit dramaturgischen Ideen ins Programm hinein? So in etwa könnte es dazu gekommen sein, dass die Wiederholung eines gerade gespielten Berliner Abo-Konzerts mit der Staatskapelle im Großen Saal der Elbphilharmonie in Hamburg sonderbar quer und unsortiert zum hiesigen Musikfest-Konzept stand, das an sich um inhaltliche Stringenz bemüht ist:

Die 1942 komponierte „Kleine Suite“ des Schönberg-Schüler Nikos Skalkottas erklärte sich durch einen Griechenland-Schwerpunkt im Spielplan von Barenboims Lindenoper; die monumental dröhnende „Alexander Newski“-Kantate durch einen weiteren aktuellen Lindenopern-Akzent auf den Prokofiew.

Barenboim und Mozart? Na ja, Mozart halt...

Das, immerhin, war mächtig großes Kino für die Ohren und passte zusätzlich bestens zum diesjährigen Musikfest-Motto „Identität“, als patriotische Feier eines russischen Nationalhelden und des tapferen russischen Volkes von Sergei Eisenstein mit Riesengeste auf die Kino-Leinwand geworfen und von Prokofiew als heroischer Propaganda-Soundtrack für den Kampf gegen Invasoren angelegt, die beim Original-Newski noch als mittelalterliche deutsche Ordensritter gen Osten ritten, in den verdienten Untergang.

Und das feingeistige klassische Scharnierstück in der Mitte, Mozarts letztes B-Dur-Klavierkonzert KV 595? Na ja, Mozart halt. Genial, geht praktisch immer, Dutzende dieser Meisterwerke könnte Barenboim längst auf Knopfdruck im Halbschlaf spielen, dirigieren oder beides, ohne seine Ruhepulszone des alleskönnenden Routiniers unnötig weit zu verlassen. Mitunter klang es an diesem Abend allerdings auch so: mächtig tiefenentspannt, musterbrav und adrett, eher lauwarm statt überschäumend.

Gegen wunderbar solide gespielten Spät-Mozart, mit allem passgenau und ordentlich dort, wo es hingehört, wäre per se überhaupt nichts einzuwenden, schwer genug ist und bleibt er ja dennoch. Doch für mehr als den schnell verblassenden Eindruck eines Pflichtstücks reichte es an diesem Abend nicht. Und das Gesamtprogramm war in der Summe weniger faszinierend als seine Bestandteile.

Zehn Minuten, die Lust auf mehr machen

Denn dass Skalkottas‘ Musik die Staatskapelle reizte, war schnell hörbar, am Interesse, sich der eigenwilligen Mischung aus zwölftönig organisierter Strukturstrenge und dem Jonglieren mit extremen Stimmungsumschwüngen auf engem Raum auszusetzen. Doch leider blieb es bei dieser Visitenkarte eines unter Wert Unterschätzen, bei zehn Minuten, die lediglich neugierig auf mehr machten als auf eine buchstäblich „Kleine Suite“.

Das ließ sich, bei aller Liebe, vom folgenden Mozart-Konzert nicht behaupten, in dem Barenboim vor allem gereifte Gelassenheit verströmte. Es war so unaufgeregt gut, wie man es von ihm erwarten durfte, doch gleichzeitig beließ er es auch bei der Erfüllung der Erwartung. Spontanes Kitzeln am Risiko, der aufregende Spaß daran, das Tutti mal eben durch kleine Ausreißer von der gut eingefahrenen Spur abzubringen? Gab es nicht, sollte nicht sein. Es ging ja auch so gut.

Für „Alexander Newski“ wäre das Etikett „Kracher“ nicht untertrieben. Die Filmmusik, 1939, im Jahr des Hitler-Stalin-Pakts komponiert, sollte schließlich auch eine eindeutige Botschaft in die Hirne hämmern. Den effektsicheren Einfallsreichtum Prokofiews kostete Barenboim in der siebensätzigen Kantate voll und prall aus: das wackere Pathos der russischen Chöre wurde bis zum Anschlag aufgedreht, mit Pauken und Trompeten wurde zur Attacke geblasen, die Ordensritter-Gesänge mit gefälschtem Latein machten klar, wo der Feind des Volkes steht.

Im Soundtrack zum "Weißen Hai" zitiert

Toll auch, wie die Kontrabässe in der „Schlacht auf dem Eis“ jenes bedrohliche Zwei-Ton-Motiv vor sich her trieben, das John Willams Jahrzehnte später für den Soundtrack zu „Der weiße Hai“ zitieren würde. Und dass eine Luxus-Stimme wie die Mezzosopranistin Anita Rachvelishvili nur für diese eine, einzige kurze Szene, den fürchterlichen Gang über das „Totenfeld“, mit von der Partie war, das war eine unübersehbarer Beleg für das Niveau, auf dem Barenboim arbeitet und Personal neben sich duldet, und sei es nur für so wenige Minuten.

Den meisten Spaß an diesem Spektakel dürfte aber – neben Barenboim selbst wahrscheinlich – der Staatskapellen-Schlagzeuger mit den Großen Becken gehabt haben, der sich, der Lautstärke nach zu urteilen, im triumphierenden Finale fast die Schultern ausrenkte.

Publikumsstimmen

Elke Gitzinger, Düsseldorf: „Ich bin ganz begeistert. Die Auswahl der Stücke fand ich sehr gut. Das Mozart-Konzert war wunderbar gespielt, sehr gefühlvoll. Der Prokofiew war richtig russisch, das hat mich schon sehr mitgerissen.“

Doris Pingel, Hamburg: „Das Mozart-Konzert war super, das erste Stück war eine Katastrophe und der Prokofiew war mir zu laut.“

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