Hamburg. „Die Arbeit eines Regisseurs kann in zwei sehr einfachen Worten zusammengefasst werden: warum und wie.“ Eine Bühne, das bedeutet: unendliche Möglichkeiten. Man muss nur loslassen können und darf sich nie zu wichtig nehmen.
Je älter, weiser und bescheidener im Umgang mit seinen Mitteln und Möglichkeiten er wurde, desto intensiver und aufrichtiger waren die Theater-Produktionen, mit denen Peter Brook seinem verzückten Publikum und dann dem Rest der Theater-Welt sanft lächelnd vorführte: Es geht auch anders. Es geht immer auch anders. Ganz einfach. Man braucht nicht viel, um mit einem Text glücklich zu sein und um mit ihm und der Welt, die sie darstellen, eins zu werden.
Peter Brook: Jahrhundertgestalt des Welt-Theaters gestorben
Brook, 1925 in London geboren, als Jahrhundertgestalt des Welt-Theaters zu bezeichnen, ist nicht untertrieben. Er war gleichermaßen Ästhet und Asket, der das Überflüssige nicht dulden konnte. „Ich kann jeden leeren Raum nehmen und ihn eine nackte Bühne nennen. Ein Mann geht durch den Raum, während ihm ein anderer zusieht; das ist alles, was zur Theaterhandlung notwendig ist.“ Mit diesem Credo ließ er 1968 seine wichtigste Theorie-Abhandlung „Der leere Raum“ beginnen, die zu einer Bibel für Generationen von Schauspielen, Regisseuren und Bühnenbildnern wurde.
Schon als Siebenjähriger strapazierte er das Wohlwollen seine Eltern mit einer mehrstündigen „Hamlet“-Version für Pappfiguren. Erste Erfolge brachten ihn an honorige Adressen, er arbeitete an Covent Garden, wo er sich für eine „Salome“ mit Salvador Dalí als Ausstatter zusammentat – und wegen dessen surrealer Exzentrik rausflog. 1962 wurde Brook Co-Direktor der Royal Shakespeare Company. Er inszenierte einen „King Lear“, der von allem elisabethanischen Pomp befreit war, radikal entschlackt, auf den Wesenskern des Dramas zurückgeworfen. 1963 drehte er die erste Verfilmung von William Goldings Roman „Der Herr der Fliegen“, auch am Broadway war er erfolgreich.
Brook arbeitete jahrelang in Paris
Doch in den Mühlen dieser Produktionsbetriebe und -methoden hielt der Freigeist es nur noch wenige Jahre aus. 1970 ging Brook nach Paris, um dort das Theaterforschungsinstitut „Centre International de Recherches Théâtrales“ zu gründen, im selben Jahr entstand ein akrobatischer „Sommernachtstraum“ mit Trapezen. Seine Bühnen-Heimat wurde das „Théâtre des Bouffes du Nord“, an dem er 34 Jahre lang seine Vorstellungen von Bühnenkunst umsetzen konnte und sie als Lehrstücke international exportierte.
Auf Kampnagel präsentierte er 1983 seine „Tragédie de Carmen“, die Oper auf 83 Minuten komprimiert; beim Musikfest Bremen war Brook, greise und zerbrechlich schon damals, dreimal zu Gast, 2011 mit einer Adaption von Mozarts „Zauberflöte“, bei der das Bühnenbild für das Sieben-Personen-Kammersingspiel nur aus einigen Bambusstäben bestand.
Peter Brook lebte Diversität in seinen Stücken
Die Hingabe zur kleinen Form war allerdings kein Hinderungsgrund, wenn es um exzessive Vorbereitungen ging. Für eine „Sturm“-Produktion mit dem großen Shakespeare-Spieler Paul Scofield sollen Brook 14 Wochen Probezeit nicht genügt haben, um die Essenz des Stücks zu finden. „Ja, wir verschwenden viel Zeit“, sagte er dazu, „aber genau dadurch ersparen wir sie dem Publikum.“
Brooks Theater war nicht eurozentristisch gedacht, er weitete den Horizont und wurde zum Humanist jenseits einer einzelnen Sprache, zum Vorkämpfer einer Weltkultur-Idee. Er praktizierte Diversität bei der Besetzung seiner Ensembles, lange bevor dieser Begriff gängiger wurde. Dafür arbeitete er mit Schauspiel-Größen wie Paul Scofield, Glenda Jackson, Marcello Mastroianni, David Bennent, Michel Piccoli, Helen Mirren oder Yoshi Oida.
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Der Theater-Kosmos, den vor allem Shakespeare ihm zeitlebens bot, wurde ihm früh zu klein und zu einsprachig. Seine nächste Phase des Legendärwerdens begann mit dem Blick in andere Traditionen, ohne dabei in überzuckerten Exotismus-Rausch zu verfallen: Die neunstündige Bühnenfassung des hinduistischen Sanskrit-Epos „Mahabharata“ wurde zur Sensation und tourte nach der Premiere 1985 in einem Steinbruch bei Avignon vier Jahre lang um die Welt. Brook ging mit seinem Ensemble nach Südafrika oder ließ sich vom japanischen No-Theater inspirieren. 1993 folgte mit „L’Homme Qui“, basierend auf Oliver Sacks Bestseller „The Man Who Mistook his Wife for a Hat“, ein weiterer Meilenstein.
Erst im April hatte in Paris ein Spätwerk Heimspiel-Premiere im „Bouffes du Nord“: ein weiteres Nachdenken über Shakespeare, was auch sonst, ein „Tempest Project“, uraufgeführt einige Monate zuvor in Montpellier. Shakespeares letztes Stück wurde auch Brooks letzte Arbeit. Am Sonnabend ist er im Alter von 97 Jahren in Paris gestorben.
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