Hamburg. Einen Dämpfer in die Tuba, das größte und tiefste Blasinstrument, zu platzieren, erfordert ein wenig Anstrengung. Mike Roylance vom Boston Symphony Orchestra (BSO) muss sich dafür etwas strecken. Sitzt das „Ding“ einmal, und die Tuba kann mit etwas verfremdeten Ton erklingen, ragt dann hinten rechts auf dem Podium der Elbphilharmonie eine Art lustiger „Zylinder-Hut“ aus dem Orchester heraus.
Gleich im ersten Stück beim Gastspiel des BSO – Carlos Simons „Four Black American Dances“ – kam der Riesendämpfer mehrfach zum Einsatz, und auch die Blech-Kollegen an den Posaunen und Trompeten sorgten für reichlich schräge, effektvoll verzerrte Klänge. Aber alles eingebunden in peppige schwarze amerikanische Tanzrhythmen, Ring Shout oder Holy Dance heißen sie, auch Walzer hört man und einen veritablen Bigband-Sound. Brillant der Konzertauftakt mit elegantem Drive. Das Elbphilharmonie-Publikum war schon hier mit johlendem Beifall aus dem Häuschen.
Elbphilharmonie: Hamburg als einzige Stadt in Europa im Tournee-Plan
Hamburg hatte Glück, als einzige Stadt auf der diesjährigen Europa-Tournee des Boston Symphony gab es hier zwei Auftritte. Mussten sich das Orchester und sein „Musicdirector“, Star-Dirigent Andris Nelsons, im ersten Konzert den Applaus noch mit Star-Geigerin Anne-Sophie Mutter teilen, war beim zweiten Abend ganz das Orchester und seine Klasse im Fokus.
Auch hier stand Amerikanisches Europäischem gegenüber. Auf Simons „Black American Dances“ folgte Strawinskis „Petruschka“, nach der Pause hielt der französische Pianist Jean-Yves Thibaudet – der gern die Klassik-Grenzen etwa in Richtung Jazz sprengt – mit Gershwins „Concerto in F“ in Atem. Und mit Ravels bitterer Walzer-Satire „La Valse“ am Schluss bekam dieses Gastspiel genau das richtige i-Tüpfelchen. Stehende Ovationen!
Konzert Hamburg: Boston Symphony Orchestra überzeugt durch Perfektion
Ein ausgeklügeltes Programm, das Verbindungslinien zwischen Traditionellem und Modernem, zwischen Europa und der Neuen Welt zog. Simon (Jahrgang 1986) vertrat die heutigen musikalischen USA, Gershwin das Amerika der 1920er-Jahre. Strawinskis „Petruschka“ führt zum volkstümlichen Russland, wurde aber 1911 in Paris von Sergej Djaghilews legendärem Ballett-Ensemble „Ballets Russes“ uraufgeführt. Djaghilew war es, der 1919 bei Ravel „La Valse“ in Auftrag gab. Das Boston Symphony Orchestra hat eine lange Tradition mit europäischer Musik durch russische, deutsche oder französische Chefdirigenten.
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Konzert Elbphilharmonie: Rauschähnliche Zustände bei der messerscharfen Präzision
Gute Voraussetzungen also. Die Perfektion der „Big Five“, der fünf großen amerikanischen Orchester, zu denen das BSO gehört, wird immer beschworen. Doch das war es nicht allein bei diesem Konzert. Klar, man kommt in rauschähnliche Zustände bei der messerscharfen Präzision der Schlagzeuggruppe, die reichlich brillieren kann in „Petruschka“, im „Concerto oder in „La Valse“, oder: der betörende Holzbläser-Sound der Jahrmarkt-Drehorgelklänge in „Petruschka“, oder das knisternde Super-Pianissimo am Schluss von Strawinski.
All das funktioniert nicht ohne die Ausdruckskraft der Künstler, dem phänomenalen, ganz locker spielenden Pianisten Jean-Yves Thibaudet. Da ist vor allem Dirigent Andris Nelsons, der mit einer faszinierenden Klarheit, Vorstellungskraft und Ausdruckstiefe Perfektion Perfektion sein lässt und mit zwingend gestalteten Steigerungen, dynamischen Abstufungen das Optimum aus der Musik holt. Ein Konzert der Superlative, schon jetzt ein Highlight der Saison.
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