Noch nie wurde einer Fußball-WM mehr Abneigung entgegengebracht wie der am Sonntag beginnenden, ziemlich sicher gekauften, bierlosen Winter-WM in Katar. Soll man das boykottieren? Oder ist man dann ein Heuchler? Weil ein seelenloses Turnier am Arabischen Golf tatsächlich das ist, was wir heraufbeschworen haben? Und wäre England eigentlich der best- und schlimmstmögliche Weltmeister, weil die Scheich-gepimpte Premiere League das Sinnbild des Überkommerzes ist? Das muss jeder für sich entscheiden.
Katar und der Fußball in Büchern: Ein schnörkelloses Porträt
Wer sich Grundlagenkenntnisse über das winzige Gastgeberland in der Wüste draufschaffen will, dem sei Nicolas Fromms schnörkelloses Porträt „Katar. Sand, Geld und Spiele“ (C.H. Beck, 16,95 Euro) empfohlen. Geschichte, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Diplomatie, der Sport als Hilfsmittel beim Nation-Branding– der Politikwissenschaftler an der Helmut-Schmidt-Universität sorgt für einen guten Überblick. Der Emporkömmling Katar, dessen Bodenschätze aufgrund von Putins Krieg an Wert sicher nicht eingebüßt haben, sieht sich fortwährender Kritik ausgesetzt, was die Beachtung von Menschenrechten angeht. Fromm spart die Gepflogenheiten auf dem Arbeitsmarkt und die problematische Situation der Wanderarbeiter nicht aus. Sein Porträt ist dennoch positiv – und dabei bisweilen zu wohlwollend. Die WM als „historisch vielleicht einmalige Gelegenheit, Veränderungen und Reformen im Land konstruktiv zu begleiten“: Darin würde man ihm jedoch gerne folgen.
Ist wichtig nicht eh aufm Platz? In Katar werden die meisten der sündhaft teuren Profisportler auflaufen, die Woche für Woche die vielen Fans verzücken, die noch nicht das Handtuch geschmissen haben. Die zwei vermutlich besten Fußballer aller Zeiten werden bei der WM versuchen, im Jungseniorenalter doch noch Weltmeister zu werden, wobei Lionel Messis Argentinien wohl mehr Chancen hat als Cristiano Ronaldos Portugal. Die Sportjournalisten Jonathan Clegg und Joshua Robinson haben über die faszinierende Dauerkonkurrenz der beiden Überkicker das Buch geschrieben, das jene verdient: „Messi vs. Ronaldo: Das Duell. Die Geschichte zweier Jahrhundertfußballer“ (dtv, 20 Euro) überhöht dieses einfache Spiel mit dem Lederball auf allerbeste Weise.
Ronaldo gegen Messi: Die Dekade zweier Genies
Es erzählt die Geschichte der so unterschiedlichen Antipoden als dramatischen Triumph des Fußballs. Ja, Fußball ist zum Niederknien, wenn Messi von der Strafraumgrenze(!) den Torwart überlupft. In diesem Buch geht es auch um die bislang reichsten Fußballer. Wir nehmen es zur Kenntnis und delektieren uns an Sätzen wie diesen über die Dekade der Genies: „Zehn Jahre, die geprägt waren von ihren Duellen, von den atemberaubenden Summen, die sie verdienten, und von den Trümmern, die sie hinterließen.“
Begnadete fallen aus dem Olymp. Genies haben eine dunkle Seite – auch Ronaldo und Messi hatten Skandale. Aber sie rauschten nicht so dermaßen nach unten wie die Fußball-Legenden, die Michael Horeni in seinem fesselnden Buch „Die Begnadeten. Schönheit, Schmerz und Einsamkeit: Fußballgötter und ihre Abstürze“ (C. Bertelsmann, 24 Euro) porträtiert.
Mesuts Özils Entfremdung von seinem Geburtsland
Beckenbauer in der Korruptionsfalle, Maradonas kaputter Messias-Status, Sócrates’ Krieg gegen seine Leber, man kennt diese Geschichten und die Tragik ihrer Heroen. Horeni schreibt über den Preis, den die Fußballer für Talent und Siegeszüge zahlten, in biografischen Abrissen. Unerbittlich, was die Zwangsläufigkeit angeht. Özils Entfremdung von seinem Geburtsland schmerzt immer noch, stellt man beim Lesen fest. Einzig der versuch, George Best in der Ich-Perspektive zu fassen zu kriegen, misslingt eher.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Kultur & Live