Neues Album

Wo Anna draufsteht, ist auch Netrebko drin

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Überlebensgroß? Natürlich: Die Diva der Diven sorgt mit ihrem neuen Album dafür, dass niemand auf die Idee kommt, Anna Netrebko hätte sich zurückgezogen.

Überlebensgroß? Natürlich: Die Diva der Diven sorgt mit ihrem neuen Album dafür, dass niemand auf die Idee kommt, Anna Netrebko hätte sich zurückgezogen.

Foto: Deutsche Grammophon/Universal Music

Die Sopranistin veröffentlicht nach fünf Jahren ein neues Album und als Sättigungsbeilage auch noch ein sehr persönliches Kochbuch.

Hamburg. „Willst du gelten, mach dich selten.“ Eine Regel, mit der Anna Netrebko, gerade tatsächlich 50 geworden, virtuos umgeht: In Salzburg ist sie kurz davor, als Diva assoluta der Festspiele ins Stadtwappen eingemeindet zu werden; sie kann sich dort aussuchen, was sie wann singt, wie oft, mit wem – oder dann eben nicht.

Wer sie für Bunte-Teller-Konzerte oder Opern-Serien an Spitzenhäusern buchen möchte, findet dann oft auch ihren Mann, den sicher herzensguten und fröhlichen Tenor Yusif Eyvazov im Kleingedruckten. Ihr letztes Solo-Album liegt allerdings fünf Jahre und eine Pandemie inklusive zurück. Zwei Ewigkeiten, in Bilanz-Jahren von Plattenfirmen gerechnet.

Neues Album: Anna Netrebkos Aida schießt in die Blutbahn wie Gourmet-Crack

Nach einem halben Jahrzehnt wieder zurück auf einen Spitzenplatz der Verkaufs-Charts rasen zu sollen, um sich zumindest in Deutschland mit Helene Fischer zu duellieren, dafür ist amtliches Klotzen statt Kleckern vonnöten. Es wurde also nicht irgendeine Wald- und Wiesen-Combo als Begleitkapelle organisiert, sondern das Scala-Orchester, mit dessen Chef Riccardo Chailly. Augenhöhen eben. Und Netrebko suchte, meist mit sicherer Hand, Arien und Szenen aus, in denen sie ihr dunkelgoldene Stimme und ihren Instinkt für opulente Dramatik bestens positionieren kann.

Italienisches vor allem, Verdi, Puccini, Cilea, alles vom Nobelsten, ihre jugendfrisch moussierenden Mozart-Zeiten sind längst vorbei. Dafür ist sie unter anderem zu einer geradezu furchterregend grandiosen Aida gereift. Eine Handvoll Töne, auf Händen getragen von den Mailändern, die natürlich bei jeder Verdi-Note den Siedegrad auswendig kennen, schon wirkt ihr Zauber in „Ritorna Vincitor!“ und schießt in die Blutbahn wie Gourmet-Crack.

Im hinterhältig effektvoll geschnittenen Begleit-Video wird inszeniert, wie diese Transformation abläuft. Eben noch ein Schluck Wasser hinter den Bühnenkulissen, danach ganz und gar die stolze Prinzessin, funkelnd wie eine Monatsration Swarowski-Geschmeide. Als Manon ist sie „Sola, perduta, abbandonata“, einsam, verloren, verlassen. Und man glaubt ihr jede einzelne Silbe.

Wenig Russisches, etwas Wagner und immer, ganz klar: Anna Netrebko

Erstaunlich wenig Russisches, nur eine Arie aus Tschaikowskys „Pique Dame“ – doch die hat es in sich, weil Netrebko keine Sekunde mit Zurückhaltung beim Herzbluten verplempert. Etwas Wagner spendiert La Netrebko ihrer Fangemeinde auch, trotz ihres Kampfs mit den arg teutonischen Konsonanten, der von ihr oft und gern als Ausrede erwähnt wurde. Elsas „Einsam in trüben Tagen“ aus dem „Lohengrin“, kleiner Nachklang ihres Dresdner Rollendebüts 2016, ist auch ohne Schwanenritter eine feine Visitenkarte für zukünftige Herausforderungen. Der „teuren Halle“ aus dem „Tannhäuser“ hört man staunend und ehrfürchtig an, dass sie garantiert kein Schnäppchen war. Und dass Netrebko sich an Isoldes „Liebestod“ aus dem „Tristan“-Finale wagt, um dort in den transzendierenden Klangwellen selig zu ertrinken und zu versinken, hat als höchstdramatisches Himmelfahrtskommando größten Respekt verdient. Obwohl eine komplette Isolde, womöglich live stundenlang gestemmt, noch eine zu hohe Hürde für ihre Stimme darstellen dürfte.

Ähnlich, aber anders speziell ist der Einstieg in die große Show, „Es gibt ein Reich“ aus „Ariadne auf Naxos“ von Strauss, mit dessen samtschwülstiger, aber fein zu zeichnender Pracht sie nach wie vor auf hohem Niveau fremdelt. Fürs Kuriositätenkabinett, doch gut gemeint ist der Barock-Flirt in „Dido’s Lament“ aus Purcells „Dido And Aeneas“, derartig breit ausgewalzt, dass gleich mehrere historisch informierte Originalklang-Ensembles spielend in die Zwischenräume passen würden. Entscheidend ist aber immer: Wo Anna draufsteht, ist Netrebko drin. Satt, überlebensgroß, unverwechselbar. Jede Rolle, die sie sich nimmt, wird von ihrem Charisma übertönt, verstärkt, zum Leuchten gebracht.

Ein Kochbuch von "La Netrebko" als Sättigungsbeilage

A propos satt: Lang ist es her, dass in der Künstlerkantine „Triangel“, vis à vis vom Salzburger Festspielhaus, die Trüffelpasta nach Netrebko benannt wurde. Vielleicht kam schon damals ihre Idee zustande, irgendwann ein Kochbuch zu verfassen. Weil sie es konnte. Ihr erstes Rezept, Blinitorte mit Lachs und Forellenkaviar, findet sich erst auf Seite 21.

Kalorienzähler und schlechte Futterverwerter sollten einen Bogen um einige der Gerichte machen; dass man Pfifferlinge nicht mit Wasser waschen darf, ist keine ganz neue Erkenntnis. Aber letztlich egal. Dieses Kochbuch ist mehr ein fröhlich dahingeplaudertes Poesiealbum mit vielen Karriere-Stationen und einigen Koch-Empfehlungen, eine Sättigungsbeilage, um die Wartezeit bis zur nächsten Live-Audienz zu überbrücken. Macht aber nichts. Diva ist ja kein Teilzeitjob.

Album: „Amata dalle tenebre“. Orchestra del Teatro alla Scala, Riccardo Chailly (DG, CD + BluRay ca. 27 Euro / CD ca. 17 Euro / 2 LPs ca. 28 Euro). Stream: „Anna – Stage of Emotions“ (DG Stage, 26.11., 20 Uhr, Ticket 9,90 Euro). Kochbuch: „Der Geschmack meines Lebens” (Molden, 160 S., 30 Euro). Konzert: 2. März 2022: Anna Netrebko & Yusif Eyvazov. Elbphilharmonie, Gr. Saal. Karten 81,55 bis 440,35 Euro.