Corona-Krise

Orchester: „Wir vermissen das Publikum jetzt schon“

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Zwei Dinge der Unmöglichkeit: Ein komplettes Orchester - das Ensemble Resonanz - und die Elbphilharmonie als Konzert-Begegnungsort.

Zwei Dinge der Unmöglichkeit: Ein komplettes Orchester - das Ensemble Resonanz - und die Elbphilharmonie als Konzert-Begegnungsort.

Foto: Tobias Schult

Wie geht es den großen Hamburger Orchestern, wenn praktisch nichts geht? Eine Stimmungsumfrage in Corona-Zeiten.

Hamburg.  80 Streicher, zehn Hörner, sieben Trompeten und sieben Posaunen, und das ist nur ein Teil des Personal-Aufwands, den Schönberg 1913 für seine „Gurre-Lieder“ vorschrieb; selbst im Großen Saal der Elbphilharmonie wurde es eng, als Kent Nagano das Stück 2017 stemmte. Inzwischen wäre man womöglich schon von einer kleinen Haydn-Sinfonie zu Tränen gerührt. Aber nichts geht mehr live und wie gewohnt, nirgendwo, auch bei den vier größten Hamburger Orchestern nicht. Dennoch gibt es Unterschiede, bedingt durch die Organisationsformen.

Das Philharmonische Staatsorchester ist Teil der städtischen Strukturen, ein Landesbetrieb, und damit, was die Gehälter angeht, auf einer sicheren Seite. Das Personalvertretungsrecht sieht keine Kurzarbeit oder ähnliches vor, problematisch seien die fehlenden Einnahmen der Nicht-Konzerte im März und April. Einerseits beruhigend, zumindest für dieses Orchester, andererseits ist die Generalpause kein Zustand, den man als Kreativ-Kollektiv ertragen kann.

Trotz Corona-Pause: Musiker müssen "in Form" bleiben

„Wie auch Hochleistungssportler müssen auch unsere Musikerinnen und Musiker künstlerisch und technisch „in Form“ bleiben, um dann bei der Aufnahme des Vorstellungsbetriebs auch wieder 100 Prozent abrufen zu können. Daher übt man zuhause und spielt Kammermusik für sich allein oder (wenn möglich) mit Familienmitgliedern“, heißt es aus der Geschäftsführung. Die Saison ist bereits erstellt und veröffentlicht, für die übernächste befinden sich die Planungen im Kontakt mit Künstlern und Agenturen, Mail, Homeoffice, das jetzt übliche. Und alles überschattet von großen Fragezeichen. Bislang gehe der Kartenverkauf weiter, für Veranstaltungen ab Mai.

In einem ähnlichen Dilemma steckt das NDR Elbphilharmonie Orchester: Jeder auch für sich, keiner weiß Genaues. „Wir haben zwischendurch über die Arbeit in kammermusikalischen Formationen nachgedacht, aber auch das ist zurzeit nicht möglich“, sagte Orchestermanager Achim Dobschall über die Quarantäne. „Der Zusammenhalt ist über die Entfernung sehr groß.“ Auch dort laufen die Gehälter weiter. Zur Stimmung berichtet er: „Musiker sind es gewohnt für ein Publikum zu spielen, das ist ihre Passion. Die digitalen Bühnen sind natürlich kein adäquater Ersatz, bieten aber eine Möglichkeit, sich musikalisch zu äußern.

Sorge um Musiker der freien Szene ist hoch

Die Sorge um die Situation der Musiker der freien Szene ist bei den Kollegen sehr hoch – gemeinsam mit Alan Gilbert haben sie Ensemble-übergreifend Gelder zusammengetragen für eine Spende an den Nothilfefonds der Deutsche Orchesterstiftung.“ Auch beim NDR ist die kommende Saison servierfertig, „wir geben gerade die Broschüren in den Druck.“ Bis Ende der Saison war man weitgehend ausverkauft, für Konzerte bis Ende April wickle man nun die Ticketrückgaben ab..

Für die Symphoniker Hamburg – ein eingetragener Verein, der von der Stadt Subventionen erhält, dazu kommen Einnahmen und Geld von Mäzenen und Sponsoren – stellt sich die Lage schon etwas anders dar. „Es liegt im Wesen der Symphoniker, immer solidarisch mit allen ihren Musikerinnen und Musikern zu sein. Diese werden keinen finanziellen Schaden in der aktuellen Situation haben“, ist die Ansage von Intendant Daniel Kühnel. „Wir sind sehr dankbar, dass die Stadt sofort zugesagt hat, die Zuwendungen weiterzuzahlen. Und dass Verluste, die wir trotz aller Mühe nicht gänzlich ausschließen können, ausgeglichen werden.“ Die Hubertus Wald Stiftung stehe zur zugesagten Förderung. „Freunde und Förderer haben im Bewusstsein, dass Hilfe benötigt wird, angekündigt, ihr Engagement auszubauen. Beides ist absolut großartig.“

Was passiert, während praktisch nichts passieren kann?

„Chefdirigent Sylvain Cambreling hat Arbeitspläne für die Musikerinnen und Musiker entworfen, so dass sie sich zu Hause künstlerisch fit halten und sich auf künftige Projekte vorbereiten können“, erklärt Kühnel. „Wenn ein Orchester so von seiner Arbeit und seinem Wert für die Gesellschaft überzeugt ist wie die Symphoniker Hamburg, braucht es sich um die Motivation eigentlich keine Sorgen zu machen.“ Dazu kämen Aktivitäten für den Live-Stream. Cambreling lässt ausrichten: „All unser Handeln steht im Dienst von Dingen, deren Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, nämlich von Kultur, gemeinsamem Erleben und Gemeinschaftsorten wie der Laeiszhalle. Wir spüren nun erst recht, wie sehr sie fehlen können.“

Der Spielplan für die nächste Saison soll voraussichtlich Ende April veröffentlicht werden, die Planungen für 2021/22 laufen wie gewohnt. Für alles ab Mai gehe der Vorverkauf weiter, also auch für das Martha Argerich Festival, das Ende Juni ansteht. „Für die Konzerte bis zum 30. April nehmen wir die Karten zurück. Viele Kunden verzichten aber auf das Geld. Diese Unterstützung und Treue rührt uns sehr.“

Die Corona-Krise ist eine akute Bedrohung

Für das viel freier finanzierte Ensemble Resonanz, das sich zu 75 Prozent aus eigenen Einnahmen auch bei Tourneen trägt, ist die Krise eine akute Bedrohung. „Das hat sich nicht wie Schockstarre angefühlt. Man musste sofort handeln – das ist ein bisschen wie die alten Reflexe, dass es sofort an die Existenz geht. Innerhalb weniger Stunden haben wir das Geschäftsmodell neu erfinden müssen“, beschreibt Geschäftsführer Tobias Rempe den ersten Blick in den Abgrund. „Bis Ende Mai fällt alles aus. Ein Einnahmeausfall von rund 300.00 Euro, bis Ende Juni über 400.000 Euro.“

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Bei Gesprächen mit Veranstaltern habe er alle möglichen Zwischentöne erlebt, was die Kulanzen und Regelungen anging. Und: „Wir haben inzwischen viel Solidarität, viel tatkräftige Aktion von Seiten der Politik erfahren.“ Auf konkrete Ansagen aus der Kulturbehörde wartet er allerdings noch. Anfragen für die kommende Saison kämen, heißt es. Und irgendwann im Telefonat sagt Rempe auch noch, stellvertretend für alle: „Wir vermissen unser Publikum jetzt schon. Und ich denke, die uns auch.“