Hamburg. Donald John Trump und Barbra Joan Streisand trennen etliche Welten. Beide wurden in unterschiedlichen Ecken von New York geboren, in Paralleluniversen hinein, er knapp vier Jahre nach ihr. Als sie Anfang der 1960er ihre Debütplatten in den Himmel schoss und am Broadway bejubelt wurde, büffelte er noch auf einem Privatinternat mit vormilitärischer Ausbildung vor sich hin. Komplett unmöglich also, dass der eine nicht seit Jahrzehnten weiß, wer die andere ist, und wie riesig die inzwischen 76-Jährige ist, nicht nur in den USA. 68 Millionen verkaufte Platten, zwei Oscars, zehn Grammys, fünf Emmys, elf Golden Globes. Legende, Ende. Was sie singt, ist ganz oben.
Beide, die Diva und der Donald, haben sich im Laufe ihrer Karriere mehrmals von Grund auf neu erfunden, um ihren Prinzipien treu zu bleiben. Beide haben ein klar erkennbares Weltbild: Seines ist einfarbig, finster, egomanisch, verunreinigt von Rassismus, Hass und Gier und fern sehr vieler Wahrheiten. Das andere ist regenbogenbunt, mit Glamour und Zuckerwatte, Strass und Herz; es klingt nach klassischem Entertainment und breit ausholender Showtreppe, nach einem liberalen Amerika mit unbegrenzten Möglichkeiten. Nach einem deutlich besseren und entspannteren Gestern. Und ganz egal, wie am heutigen Mittwoch die Endergebnisse der Midterm-Wahlen in den USA auch ausfallen: Für ihr neues Album, dem sie den unmissverständlichen Titel „Walls“ gab, wird Her Babsness, die Mutter Courage der Demokraten, vom republikanischen Machthaber im Oval Office garantiert gehasst.
Eine wie sie ist für Trump ein fraugewordener Albtraum
Neu ist das für diese Sängerin nicht, sie hatte wegen ihrer Haltung schon Richard Nixon gegen sich. Und der ist längst Geschichte. Wenn La Streisand sich nun also zurückmeldet, 13 Jahre nach ihrem letzten Album mit neuem Material, um ein wütendes Veto gegen den „Commander in Chief“ einzulegen, ist das eine klare Ansage, mit viel Anlauf und entsprechendem Ego. Der „Guardian“ erfand dafür die ganz reizende Umschreibung, dieses Album würde Trump einen gut manikürten Mittelfinger entgegenstrecken. Kein Vergleich zu „American Idiot“, mit dem die Punkrock-Band Green Day 2004 gegen George W. Bush anlärmte.
Diese Breitseite kommt von einer Frau, die keine Ausreden gelten lässt. Ihr darf niemand die Parade verregnen. Weil sie fand, dass Apples Smartphone-Alleswisserin Siri ihren Namen falsch aussprach, meldete sie sich beim Firmenchef Tim Cook, um dieses Unding zu reklamieren, plauderte sie kürzlich mit größter Selbstverständlichkeit heraus. Eine wie sie, die mit einem Anruf in Hollywood jede Tür öffnet oder schließt, ist für einen Dicke-Eier-Politiker wie Trump ein fraugewordener Albtraum. Dass Obama ihr, der glühenden Verfechterin von erst Bill und dann Hillary Clinton, die Presidential Medal of Freedom verlieh, macht das Freund-Feind-Szenario nur eindeutiger. „Wir befinden uns in einem Krieg um die Seele Amerikas“, sagte sie, als der Wahlkampf noch lief.
Auf Streisands Album "Walls" geht es nur um Trump
Denn es geht auf „Walls“ ausschließlich um US-Präsident Nr. 45, um seine Lügen und seine Intrigen. Doch sein Name wird nicht genannt, das wiederum wäre zu viel der Ehre. In ihrem Klageschrift-Video zu „Don’t Lie To Me“ flackern immer wieder Bilder seiner Gesten und Posen auf, als wäre es der debil grinsende Horrorclown in Stephen Kings „Es“. Wie kannst du nur schlafen, wenn die Welt in Flammen steht, fragt sie ihn. „Alles was wir aufbauten, liegt in Trümmern.“ Sie hatte sich beim Schreiben dieses Textes wirklich vorgenommen, nicht auszurasten, hatte sie erklärt.
„Walls“, ihr Studio-Album Nummer 36, ist nicht das bestmögliche musikalische Lebenszeichen, das man sich von Streisand gewünscht hätte, denn trotz der zeitgemäßen Produktionsklasse hat der eine oder andere ihrer melodramatisch aufgeladenen Songs schwer an seiner fingerdicken Pathos-Glasur zu tragen. Die Musik bleibt dann hinter der Absicht auf der Strecke. Andererseits: Jedes neue Streisand-Album ist ein neues Streisand-Album. Und, überhaupt: diese Stimme! Während der fast gleichaltrige Paul McCartney – dessen Solo-Spätwerk wurde kürzlich durch „Egypt Station“ erfreulich aufgewertet – deutlich Patina auf den Stimmbändern angesetzt hat, hat Streisands vokale Einmaligkeit nichts an Eleganz, Wucht und Charisma eingebüßt. Es gibt immer wieder diese klassischen Streisand-Phrasen, für deren Gefühlsexplosionen eine Helene Fischer sofort alle nicht akrobatiknotwendigen Körperteile opfern würde. Wie Streisand zu „What The World Needs Now“ ausholt, ist ganz große alte Schule; das Amalgam aus John Lennons „Imagine“ und Louis Armstrongs „What A Wonderful World“ ist mehr als die Summe dieser Teile.
Das Finale mit dem an „Nessun dorma“ erinnernden Streicher-Anfang, hat es ganz besonders in sich. „Happy Days Are Here Again“, ein absoluter Klassiker, den Streisand schon vor gut einem halben Jahrhundert auf ihrem ersten Album gesungen hatte und seitdem wohl tausendfach. Damals endete die Version mit einem lebensgierigen Schrei als Jetzt-ist’s-auch-egal-Reaktion auf die Kuba-Krise. Nun aber: extragroße Ballade, mit leisem Seufzen verklingend, fast weinend. Inspiriert habe sie die Endzeitstimmung in der Musik von Mahler, insbesondere das flackernde Verlöschen in dessen Zehnter Sinfonie. Jeder anderen hätte man so viel Bedeutungsbeschwerung nicht durchgehen lassen. Streisand ließ das einfach so.
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