Premiere in Staatsoper

Die Angst des Regisseurs wird immer größer

| Lesedauer: 8 Minuten
Joachim Mischke
Über die Zukunft spricht Achim Freyer nicht – erst mal kommt die Gegenwart.

Über die Zukunft spricht Achim Freyer nicht – erst mal kommt die Gegenwart.

Foto: Roland Magunia / HA

... findet jedenfalls Achim Freyer, der an der Staatsoper derzeit Schumanns „Szenen aus Goethes Faust“ probt.

Hamburg.  Die Probebühne sieht aus, als wäre ein Kindergeburtstag über sie hergefallen. Sonderbare Dinge, viele Kostüme, sogar (es geht schließlich um „Faust“) ein Paar knallrote Boxhandschuhe. Und mittendrin, ein ruhiger Pol, taucht Regisseur Achim Freyer auf. Sehr viele graue Haare, geräumige Kleidung und dazu diese sympathische Freude am verträumten Verspieltsein, die die Arbeiten des letzten Brecht-Schülers seit Jahrzehnten prägt. Nachdem er mit Generalmusikdirektor Kent Nagano Wagners „Parsifal“ auf die Bühne gebracht hat, steht die nächste Staatsopern-Premiere an: Schumanns „Szenen aus Goethes Faust“, die im Original keine Oper sind, sondern ein Unikat zwischen Kantate, Oratorium und Chor-Symphonie.

Sie haben offenbar Mut – an Vertonungsversionen von Goethes „Faust“ haben sich schon ganz andere verhoben, von Beethoven bis Wagner. Ein fürchterlich großes, fürchterlich deutsches Thema. Und Sie schreckte das alles nicht ab?

Achim Freyer: 1977 habe ich als Bühnenbildner mit Claus Peymann einen „Faust“ in Stuttgart gemacht. Damals sind wir durch die Jahrhunderte gegangen, vor allem im zweiten Teil. Das hat aus dem großen Respekt, den wir vor dem Werk hatten, kleine theatralische Inseln geschaffen …

Seit damals hatten Sie also noch eine Rechnung mit dem Stück offen?

Freyer: … dann kam Berlioz‘ „Damnation de Faust“ in Los Angeles, das war auch eine sehr große Offenbarung …

… und was reizt Sie nun und jetzt am nächsten „Faust“-Kampf?

Freyer: In erster Linie der Schumann, der diesen Stoff musikalisiert hat. Diese Musik geht mir so in die Seele – und ich weiß ja gar nicht, was das ist, die Seele … ich kann mich dagegen nicht wehren. Das trifft menschliche Grundsituationen. Wir werden durch Zustände überwältigt.

Gerade diese „Faust“-Szenen gelten als besonders schwierig und problematisch. War diese heikle Materie der Reiz?

Freyer: Hier ist etwas passiert, was einem Handlungstheater sehr entgegensteht – es sind Szenen, die bedeuten, dass die Räume dazwischen auch Theater sind. Das darf man aber nicht mit Ergänzungen füllen, die den „Faust“ komplettieren. Sie sind Zwischenräume gedanklicher Art, die der Zuschauer füllt, ­sekundenweise. Da passiert etwas Sensationelles: Über kleine Gegenstände, Motive und zeichenhafte Erkennungen schreibt man ein Gedicht und bringt Erfahrungen ein, die bei jedem Zuschauer anders sind. Das ist ein hochinteressanter Prozess.

Also gibt es Freyer-Szenen über Schumanns Szenen über Goethes „Faust“?

Freyer: Freyer-Szenen müssen es sein. Denn nur jener Regisseur ist glaubwürdig, der über das spricht, was er erlebt hat und ist. Das ist eine schwere Arbeit. Der Angelpunkt jeder Arbeit ist aber: Wann wird es wahr?

Wenn es für Sie wahr wird, ist es dann noch Goethe? Oder noch Schumann?

Freyer: Das sind wir drei und der Zuschauer.

Muss ich „Faust 1“ kennen und verstanden haben und womöglich sogar den ungleich haarigeren zweiten Teil? Zeigen Sie mir ­etwas und sagen damit: Sieh dir das an, ob’s für dich passt, ich weiß es auch nicht so ­genau.

Freyer: Das wäre zu einfach. Ich würde keine Erklärungen abgeben wollen, kein Lehrmeister sein. Ich nehme den Zuschauer an die Hand und zeige ihm die Schönheiten und die Abgründe der Welt. Wenn mir das gelingt, bin ich glücklich. Dieses Stück braucht dazu keine Handlung.

Und bekommt von Ihnen auch keine?

Freyer: Nein. Ich wüsste nicht. Wir legen, setzen, stellen Dinge auf die Bühne.

Also wird es ein portionierter „Faust“? Oder werde ich einen roten Faden sehen?

Freyer: Ausgespart ist menschliches Handeln. Trotzdem sieht man plötzlich alles und mehr – Gretchen, Marthe, den Garten, Mephisto … Ob man das Stück kennt oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Ich kenne es leider. Aber ich glaube, dass man genug erfährt, auch wenn man keine Ahnung vom großen Meisterwerk hat.

Das klingt alles, als ob man sich diese „Faust“-Version erst als Spätwerk auferlegen sollte.

Freyer: Kann ich mir vorstellen. Auch, dass man den Mut hat, nur einen einzigen Menschen auftreten zu lassen.

Dafür haben Sie immerhin den Bariton Christian Gerhaher.

Freyer: Ja, der steht mit dem Rücken zu uns, blickt in eine Landschaft … Der ganze Raum vor und hinter ihm ist Faust.

Das ist Ihre zweite Hamburger Arbeit mit Kent Nagano nach dem „Parsifal“. Kommt da noch mehr?

Freyer: Wir sprechen nie über die Zukunft. Schaffen wir nicht. Wir haben mit der Gegenwart so viel zu tun.

Sie haben einen leichten Hang dazu, es sich nicht einfach zu machen. „Parsifal“ ist an sich schon hohe Schule, der Schumann-„Faust“ jetzt, dann Ihr mittlerweile dritter Wagner-„Ring“, diesmal für Seoul … Mit einer fröhlich herumhüpfenden Donizetti-Oper könnte man Sie jagen?

Freyer: Darauf wäre ich nie gekommen, und ich glaube, dass niemand von den Theaterleuten mir so etwas vorschlagen würde.

Wie gehen Sie mit der Musik Schumanns um? Suchen Sie nach Hinweisen, Hilfestellungen, Leitplanken?

Freyer: Sie scheinen zu erwarten, dass ich mich mit der Musik verbrüdere. Ich versuche sie erklingen zu lassen. Hörbar und sichtbar werden zu lassen. Das ist meine Arbeit. Was die Musik erzählt, muss ich nicht noch mal betonen. Man komponiert ja, weil man es mit Worten und Bildern nicht sagen kann.

Haben Sie eine gewisse Scheu davor, sich zu zitieren?

Freyer: Das kann passieren, wenn ich etwas vergessen habe. Doch ich bin eigentlich ein stolzer Regisseur, der sagt, dass jede Arbeit, die ich mache, völlig neu ist.

Sie sind nun schon einige Jahrzehnte im ­Metier. Gibt sich mit der Zeit die Angst vor Zweifel und Scheitern?

Freyer: Das wird immer schlimmer. Die Angst gehört dazu. Bei Schauspielern und Sängern verschwindet die beim ersten Ton auf der Bühne. Bei mir erst einen Tag nach der Premiere, weil selbst die Feier danach unglaublich anstrengend ist.

Also sind Sie einer dieser Regisseure, die am Premierenabend am liebsten in einem anderen Stadtteil sind.

Freyer: Nein, ich bin immer im Saal dabei, ich bin Masochist, ich lasse alle Fehler und Schwächen über mich ergehen. Immer. Ich kann nicht Bier trinken gehen, während das spielt. Dazu liebt man alle zu sehr.

Wie würden Sie Ihre Regie-Einsicht zu diesem „Faust“-Stoff zusammenfassen?

Freyer: Wenn man das in Worte kleiden könnte, müsste man es nicht machen.

Diese Antwort habe ich befürchtet.

Freyer: Allein, dass der Sänger eine Dominanz ist, den ganzen Raum anfüllt … Alles trägt dazu bei, dass wir uns in ihm verkörpert sehen. Unsere Sehnsucht, das Alter abzuwerfen, noch mal anzufangen. Der Versuch zu lieben. Wie katastrophal kann Liebe sein? Was passiert mit gemachten Fehlern, wie geht man damit um?

Je länger ich Ihnen zuhöre, desto weniger beneide ich Sie um diese Aufgabe, diesen Riesenbrocken bewegen zu sollen.

Freyer: Wichtig ist aber, dass es für die Zuschauer ein selbstverständliches Geschehen ist, ganz leicht, ganz frei, ganz anregend. Ohne dass sie belästigt werden. Sie ­können sich alles mitnehmen, was sie wollen.

Also ist Ihr Theater letztlich nur ein Angebot?

Freyer: Eine große Frage, die mich auf die Antwort neugierig macht. Aber die gibt der Zuschauer. Ich gebe keine Antworten.