Hamburg

Neue Töne in der Elbphilharmonie

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Joachim Mischke

Ein Polen-Schwerpunkt und ein Cellist als Residenzkünstler sollen die NDR-Konzert-Saison 2018/19 prägen

Hamburg. Es sind ja oft die kleinen Dinge im Leben, die die großen Zusammenhänge illustrieren. Da mühten sich alle Verantwortlichen bei ihrer Präsentation des Programms für die nächste NDR-Konzertsaison in der Elbphilharmonie, jeder Konzept-Verästelung, ­jeder Stilrichtung gerecht zu werden, nichts und niemanden beim Vorablob zu übersehen. Doch was sich zäh im ­Gedächtnis festsetzte wie der alte Kaugummi in der neuen Profilsohle, waren zwei Zahlen: 150 neue NDR-Abos werden demnächst verlost, das soll es dann wirklich gewesen sein, um die Abo-Quote bei rund 50 Prozent zu deckeln. 15.000 Bewerbungen sind bislang eingegangen, ­obwohl das nur Kunden-Beifang durch die ­kürzlich erfolgte Bekannt­gabe der Elbphilharmonie-Pläne für die Spielzeit 2018/19 ist.

Also, zum Mitschreiben: Hundert Kandidaten für einen Platz beim NDR, und die Bewerbungsfrist läuft noch. Gegen solche Größenordnungen unstillbaren Kunst-Begehrens kann kein Konzert-Dramaturg angrübeln. Da könnte man – fast! – spielen, was man will, randvoll ist der Saal ja eh immer.

Macht das NDR Elbphilharmonie Orchester in seiner Interims-Saison ­ohne Chefdirigent (Alan Gilbert wird erst 2019 die Nachfolge von Thomas Hengelbrock antreten) natürlich dennoch nicht. Bis der Neue wirklich in Amt und Würden ist, steht vor allem der Erste Gastdirigent Krzysztof Urbanski als Vize im Mittelpunkt der Planungen. Fügungen des Schicksals: Urbanski ist Pole, Polen feiert den 100. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. Das daraus resultierende Schwerpunkt-Sortiment „My ­Polish Heart“ mit elf Konzerten bietet die historische Bandbreite der Musik­geschichte dieses Landes, die hier mit Ahnvater Chopin ­beginnt, sich über Szymanowski und Lutoslawski bis zu Go­recki und Penderecki vorarbeitet. Unter anderen Vorzeichen würde Kassengift-Gefahr drohen, hier aber und jetzt, in der Elbphilharmonie? Kein Problem, ­abgesehen von der besagten Kartenknappheit. Außerdem leitet Urbanski am 1. September die „Opening Night“ des NDR, den Saisonauftakt, dann mit Französischem, Werken von Ravel und Connesson. Zum Warmwerden findet vor diesem Beginn eine Tournee mit deutschem Repertoire im Gepäck zu europäischen Sommerfestivals statt.

Noch ohne entsprechende Schulterklappen soll Gilbert eine große Nummer abliefern: Für das Musikfest 2019, das diesem epochalen Komponisten und Wahlhamburger gewidmet ist, wird seine 2010er-Idee, Ligetis surreal sarkastische Oper „Le Grand Macabre“ mit dem New York Philharmonic zu wagen, für die Elbphilharmonie wiederbelebt und ­adaptiert. Weitere Visitenkarte, allerdings auswärts, ist eine Asien-Tournee nach Shanghai und Japan.

Nach dem Geiger Frank Peter Zimmermann in dieser Saison wird nun der deutsch-französische Cellist Nicolas Altstaedt als Artist in Residence musikalischer Impulsgeber und -empfänger sein. Er spielt mit Cello-Konzerten von Schostakowitsch und Lutoslawski Klassiker der Moderne sowie eine Neuanfertigung des Finnen Sebastian Fagerlund. Dazu kommen Programme mit barocker Kammermusik und, das Nonplusultra für Cellisten, die Bach-Solo-Suiten.

Bei und von Hengelbrock wurde viel Mahler gespielt; nun ist als andere immer gern genommene Größe wieder einmal Bruckner dran, vier Sinfonien in einer Saison. Bei den Gastdirigenten finden sich wie immer Ex-NDR-Chef­dirigenten wie Eschenbach, Dohnányi und Blomstedt, aber auch Hamburgs Ex-Philharmoniker-Chef Ingo Metzmacher oder die junge Senkrechtstarterin Mirga Gražinytė-Tyla. Abgerundet wird das Angebot durch solide, eingespielte Solisten wie Christian Tetzlaff, Jan ­Lisiecki und Emanuel Ax, ergänzt etwa mit den Pianisten Piotr Anderszewski oder Bertrand Chamayou. Als Rundfunkorchester-Ausflug in die Opernwelt dirigiert Marek Janowski ein Best-of-Wagner-Programm mit Nina Stemme.

Digitales Trostpflaster für dieje­nigen, die keine Karten bekamen: Das Streamingangebot von NDR-Konzerten im Großen Saal soll ausgeweitet werden. Den knackig kurzen, günstigen „Konzerten für Hamburg“ ist eine Fortsetzung wegen der riesigen Begeisterung für dieses Format vergönnt, mit zehn Terminen bleibt die Menge so groß wie in der nun auslaufenden Saison. Und nach dem Kompletteinzug des NDR Elbphilharmonie Orchesters in das neue Konzerthaus gibt es keine konkreten Planungen für ein Comeback in die Laeiszhalle, sagte der NDR-Klangkörper-Manager Achim Dobschall.