Hamburg. Menschen von da bringen Menschen von dort um. Immer schon, für Götter, Könige, Geld, Macht, Kaiser, Reich, Führer, Präsident, Vaterland, die Freiheit, die Auswahl ist groß. Auch genau in diesem Moment ist gerade Krieg, mehrfach. Unschuldige verreckten und verrecken, und sie fliehen vor dem Tod. Es ist zum Verzweifeln, immer wieder, und zumindest gegen dieses Gefühl half und hilft gesungene Musik.
Mit ihrem klugen „Behind The Lines“-Liederabend-Programm, das seinerzeit auf CD dokumentiert wurde, wollte die Sopranistin Anna Prohaska vor vier Jahren das Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 nutzen, um an die absolute Zeitlosigkeit dieser Gewalt zu erinnern. „Das Muster, dass sich die Menschen gegenseitig die Köpfe einschlagen, ist immer das gleiche“, sagte sie, als sie dieses Konzept bei den Salzburger Festspielen vorstellte. Mittlerweile haben wir 2018 und bereits den nächsten Gedenktermin, und der Krieg ist in der Welt. Prohaskas Mahnung tagesaktuell.
Deswegen begann ihr Auftritt im Kleinen Saal der Elbphilharmonie auch mit der einfachen deutschen Volkslied-Melodie zu „Es geht ein dunkle Wolk herein“, die das Kommen der Katastrophen ankündigt, als wäre so ein bewaffneter Konflikt nur ein unausweichliches Naturereignis wie das nächstbeste Sturmtief. Nahtlos ist der Übergang in Beethovens „Die Trommel gerühret“, ein Stückchen stolzglühendes Soldatengroupie-Trällern und frohgemut blauäugiger Mannsbild-Verklärung aus der Schauspielmusik zu Goethes Trauerspiel „Egmont“. Die Zeiten änderten sich, sagt Prohaska mit dieser Methode, die Leiden bleiben aber, sobald der Krieg einem nahekommt.
Prohaskas Stimme ist nicht raumfüllend groß, das war sie noch nie, aber sie ist gerade für diese Bekenntnis-Werke großartig, weil sie ungekünstelt singt, was in ihr und in der Musik vorgeht. Auf Textverständlichkeit legte sie allergrößten Wert, denn die Botschaft steckt in jedem Wort, jeder Silbe. Als Einrahmer dieser Momentaufnahmen aus etlichen Jahrhunderten und Stilrichtungen blieb Eric Schneider so dezent wie nah am Geschehen, kommentierte und vervollständigte.
Prohaska trug mattes Schwarz, jede andere Farbe hätte sich verboten, etwas Husarenuniform-Ähnliches; sie sang von den Gräbern und von den Witwen; sie krähte, wie die Berliner Göre, die noch nichts besser wusste, das „Meine Mutter wird Soldat“ aus Eislers „Kriegslied eines Kindes“ heraus, frech und quer zur ruppigen Harmonik. Im „Panzerschlacht“, das der vor den Nazis geflohene Exilant Eisler 1942/43 in sein „Hollywooder Liederbuch“ schrieb, rasselten die Ketten in der Klavierbegleitung, nachdem in Rachmaninows „Die Frau des Soldaten“ ein Liebesbrief aus früheren Zeiten sentimental vertont und gesungen wurde. Mit der Highlander-Ballade „My Luve’s In Germanie“ holte Prohaska das Publikum in einen Sehnsuchtstraum nach Schottland, bevor es – bloß keine Atempause, Geschichte wurde dort gemacht – mit „Flanders Fields“ des Amerikaners Charles Ives in die schweiß-, blut- und tränengefluteten Schützengräben von 14/18 ging. Die Musikauswahl trudelte durch die Epochen und über die jeweiligen Schlachtfelder: Nach „Wand’ring In This Place“ des Shakespeare-Zeitgenossen Michael Cavendish folgten zartbittere Schubert-Lieder. Und um die Schockwirkung perfekt zu machen, brach in RihmsTrakl-Vertonung „Untergang“ die Tonalität jäh in sich zusammen.
Den zweiten Teil widmeten Prohaska und Schneider tragischen Einzelschicksalen: Liszts „Jeanne d’Arc“, eines dieser samtig spröden Rätsel-Spätwerke, das die Operndiva in der Moritätensängerin herauslockte. Schumanns „Die beiden Grenadiere“ als Kammerspiele, vor allem aber Mahlers „Wo die schönen Trompeten blasen“, bei dem Prohaska mit lieblicher Anmut vergessen ließ, dass diese Töne auch Vorboten einer anderen Welt waren.
Ein dramaturgisch perfektes Programm also, ergreifend und erhellend, das noch mehr war als die beachtliche Summe seiner Teile, das begeistert gefeiert wurde und im Unterbewusstsein sicher noch lang nachklingen wird. Die letzte, sanft gesungene Zeile, aus Weills bluesiger Walt-Whitman-Vertonung „Klagelied für zwei Veteranen“, mit dem dieses denkwürdige Konzert endete, lautete nicht zufällig „Mein Herz schenkt euch Liebe“.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Kultur & Live