New York/Hamburg. In der Studenten- und Fahrradstadt Münster ist Ute Lemper geboren und gelegentlich noch zu Gast. Wir erwischen die 53 Jahre alte Sängerin zum Telefoninterview in ihrem Zuhause in New York, wo sie seit gut 20 Jahren lebt. Manhattan, Upper Westside, nah am Central Park. „Ich bewege mich gerade vom Küchentisch auf die Couch“, sagt sie. Zuvor hat sie noch einem italienischen Journalisten ein Interview gegeben, das dauerte etwas länger – aber nicht, weil sie es auf Französisch geführt hatte.
Ute international! Auf Zypern war sie unlängst, dann Teil eines Sinfonieorchester-Konzerts auf Paros, danach gab es ein Gastspiel in Vancouver, schließlich hat sie noch in San Francisco eine Masterclass gehalten. Nach vier Tagen New York geht es weiter nach Italien. Der Großteil der Konzerte findet in Europa statt, aber es gibt eben auch Nordamerika und Südamerika auf ihrer Karte, Brasilien, Argentinien. Und noch im April war die Mutter von vier Kindern, die – mit einem Amerikaner verheiratet – bis heute nur die deutsche Staatsbürgerschaft und eine Greencard hat – für zwei Wochen in China. Am 27. Juni gastiert sie in der Laeiszhalle.
Frau Lemper, auf welchem Kontinent waren Sie eigentlich noch nicht?
Ute Lemper: Eigentlich überall. In Südafrika war ich allerdings erst einmal, in Australien schon fünf- oder sechsmal, das ist immer der Hammer, eine Attacke aufs Immunsystem mit den 16 Stunden Zeitunterschied. Das ist schon schwierig zu verdauen. Und es wird auch nicht einfacher, je älter man wird (lacht).
Sehen Sie sich als Weltbürgerin?
Lemper: In den 80er- und 90er-Jahren war mein Zuhause in London, Paris und Berlin. Gleichzeitig bin ich viel getourt, war in Italien, Spanien und Portugal und weiteren Ländern, immer mit fünf oder sechs Portemonnaies mit den verschiedenen Währungen in der Tasche. Da war ich eine typische Europäerin, überall und nirgends zu Hause. Das war aber auch interessant als Konzept, kein Gefühl von Nationalismus zu entwickeln, sondern eine unabhängige Identität zu haben.
Aber in New York fühlen Sie sich nach 20 Jahren heimisch?
Lemper: Das Interessante war, dass ich mich dort sofort als New Yorkerin fühlte. Und das als Deutsche, als Europäerin, als Entwurzelte ...
Warum Entwurzelte?
Lemper: Weil ich ja zuvor zehn Jahre zwischen Paris, London und Berlin gependelt war und mich eher französisch als deutsch fühlte. Meine Karriere ging ja 1985 in Paris richtig los, dann direkt weiter in London. Ich hatte überall Wurzeln geschlagen, aber sie bedeuten für mich nicht in dem klassischen Sinne Heimat.
Wann waren Sie zuletzt in Hamburg?
Lemper: Das war bei Markus Lanz im ZDF am Tag der US-Präsidentschaftswahlen im November. Ich bin am nächsten Morgen fast mit einem Herzanfall aufgewacht, als ich hörte, dass Donald Trump die Wahlen gewonnen hat. Ich konnte kaum meinen Kaffee trinken, als ich diese Neuigkeit mitbekam.
Der New Yorker Trump hat der Wahl-New-Yorkerin Lemper etwas voraus, er ist als Gast des G20-Gipfels vor Ihnen in der Elbphilharmonie ...
Lemper: Was soll ich dazu sagen? Ich hoffe, dass die Elbphilharmonie nach ihm noch steht. Und dass er mit seiner Farce-Politik die Authentizität und Integrität nicht zu sehr beschmutzt. New York ist demokratisch und anti Trump. Wir beobachten es mit Kopfschütteln, Peinlichkeit und Sorge. Der Mann kann wirklich nichts ausdrücken. Es tut richtig weh, zu hören, wenn er spricht. Trump ist unkalkulierbar, er umgibt sich mit Leuten, die aus allen Ecken der Wirtschaft kommen, aber politisch nicht versiert sind.
Was verbindet Sie mit Ihrem Auftrittsort Laeiszhalle? Ihre Hamburger Wurzeln liegen ja in der Hochschule für Musik und Theater in Pöseldorf, damals beim ersten Popkurs 1982.
Lemper: Daran kann ich mich noch gut erinnern. Ich hatte in der Nähe ein Zimmerchen in einer Studentenbude und bin da immer mit dem Fahrrad hin. In Hamburg hab ich auch „Das Erbe der Guldenburgs“ fürs ZDF gedreht und in einem kleinen Hotel an der Alster gewohnt. Das sind schöne, frühe Erinnerungen. Und in St. Georg, da habe ich Kaffee getrunken bei Max & Consorten, in der kleinen Café-Bar, die es jetzt leider nicht mehr gibt. Da hab ich mich damals in einen Kellner verliebt (lacht) – Studentenzeiten!
Welche Rolle spielt die Liebe denn in Ihrem aktuellen Tour-Programm „Last Tango in Berlin“?
Lemper: Die Lieder, die ich singe, haben oft mit der Liebe zu tun. Liebe in den dunklen Gassen der Großstädte, zwischen den Lichtern und im Nachtleben. Alle Lieder, die ich singe, ob es jetzt um Edith Piaf, Jacques Brel, Leo Ferré oder Astor Piazzolla geht, haben in sehr tiefer Weise mit unserer Existenz zu tun. Es geht da immer um Leben und Überleben, um leidenschaftliche und verblühende Liebe, um Brutalität und Gleichgültigkeit der Liebe. Wir ziehen bei den Konzerten musikalisch von Berlin nach New York, nach Buenos Aires, nach Paris und wieder zurück nach Hamburg. Es sind die Perlen des Chansons, gespielt von meinen wunderbaren Musikanten, die auch aus aller Welt kommen.
Ist Ihr Mann Todd als Schlagzeuger wieder dabei?
Lemper: Nein, er muss zu Hause bleiben und auf die Kinder aufpassen (lacht). Wir gehen schon lange nicht mehr zusammen auf Tour: In meinen Programmen hab ich Percussion dabei, ein Schlagzeug aber schon seit einigen Jahren nicht mehr. Wir sehen uns lieber zu Hause als auf Tournee.
Vor fast genau 30 Jahren erschien Ihre erste LP: „Ute Lemper singt Kurt Weill“. Welche Bedeutung hat der Komponist noch in Ihrem Programm?
Lemper: Weill ist immer ein bisschen dabei, weil in dem Repertoire meine Wurzeln liegen, jetzt aber auf spielerische Art und Weise. In dem Sinn, dass ich Weill mitnehme in andere Welten, etwa die Moritat von „Mackie Messer“ in die Welt von Tom Waits. Ich weiß mittlerweile, was die verschiedenen Nationen wollen. In Deutschland will man eigentlich nicht so viel Kurt Weill. In Portugal muss ich unbedingt immer die „Lilli Marleen“ singen. Die Deutschen freuen sich mehr über zeitgenössische Improvisationen, hören gern Jazz und Tango.
Ausgesprochen up to date waren Sie ja 2015, als Sie überraschend als Kandidatin der Vox-Show „Promi Shopping Queen“ auftauchten und diese sogar gewannen ...
Lemper: Ich hatte „Promi Shopping Queen“ vorher noch nie gesehen. Aber meine damalige PR-Agentin sagte: „Du musst das unbedingt machen, das ist eine ganz populäre Show in Deutschland.“ Ich fand das ganz lustig, habe ja auch Stil und Klasse und kann mich auf dem Laufsteg gut bewegen. Bis mir mein Bruder eine WhatsApp-Nachricht schickte und schrieb: „Bist du wahnsinnig? Frag mich nächstes Mal, lass mich lieber dein PR-Agent sein!“
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Kultur & Live