Hamburg

Sir Jeffrey Tates Liebeserklärung an die Laeiszhalle

| Lesedauer: 4 Minuten
Marcus Stäbler

Unter dem Motto „London, My Love“ führte der britische Chefdirigent der Symphoniker die Hörer auf eine Entdeckungsreise in seine Heimat

Hamburg. „Die Laeiszhalle klingt noch immer so wunderbar wie seit 108 Jahren!“ Mit diesem Bekenntnis trat Intendant Daniel Kühnel am Sonntagabend vor das treue Publikum der Symphoniker Hamburg und erntete spontanen Applaus. Er hat ja recht, auch mit dem, was er dabei nicht so explizit sagte: Bei allem verständlichen Trubel um die Elbphilharmonie sollten wir die Qualität der guten, alten Laeiszhalle, die lange Musikhalle hieß, nicht vergessen. Ihren neobarocken, liebenswert plüschigen Charme und den von vielen Musikern und Hörern geschätzten Sound.

Seit Beginn des Jahres sind die Symphoniker Hamburg das Residenzorchester des Saals. Ihre musikalische Housewarming Party feierten sie unter Leitung des Chefdirigenten Jeffrey ­Tate, der noch in diesem Jahr von der Queen zum Ritter geschlagen wird, für seine Verdienste um die britische Musik in der Welt.

Welch ein hervorragender Botschafter seines Landes er ist, demons­trierte Tate – der sich jetzt schon „Sir“ nennen darf – auch mit dem Programm des Konzerts: Unter dem Motto „London, My Love“ führte er die Hörer auf eine Entdeckungsreise in seine Heimat, ins wenig bekannte Repertoire der englischen Frühmoderne, die oft wie eine späte Romantik wirkt.

Beim ersten Stück, der bunt instrumentierten Ballettsuite „Horoscope“ von Constant Lambert, brauchten die Ohren noch ein bisschen Zeit, um sich wieder auf die Verhältnisse des Saals einzupegeln. Im Vergleich mit dem großen Freiraum in der Elbphilharmonie klang das Orchester hier, auf der Bühne der Laeiszhalle, doch etwas beengt, vielleicht sogar eine Spur topfig.

Aber schon nach der Ballettsuite hatten sich die Hörerwartungen wieder an die akustische Realität angeglichen. Gerade noch rechtzeitig für die Sea Pictures von Edward Elgar, mit der umwerfenden Jennifer Johnston als Solistin.

Was für eine Stimme! Ein goldener Mezzo, der Wärme und Strahlkraft vereint. Kein Wunder, dass diese Granate von einer Sängerin schon relativ früh ins dramatische Fach gefunden hat. Mühelos leuchtet ihr Timbre über den opulenten Orchesterklang der fünf Sea Pictures, mit denen Elgar das Meer wechselweise als Ort des sanften Schlummers, der Liebe, aber auch der erotischen Verlockungen beschwört – wie im vierten Song, „Where The Corals Lie“, in dem sich Johnstons vokale Linie allmählich aus dem instrumentalen Gewebe heraus rankt und nach und nach zu voller Schönheit erblüht. Ein Fest für Sängerfans, auch wenn ihr Vibrato mitunter eine Spur zu stark schlackert.

Tate wusste genau, wer hier die Hauptrolle spielt, freute sich still und begleitete seine Landsfrau wie ein Gen­tleman, bevor das Orchester nach der Pause seinen großen Auftritt hatte: mit der „London Symphony“ von Ralph Vaughan Williams. Die sinfonische Hymne an die Hauptstadt will eigentlich keine Programmmusik sein und weckt doch immer wieder bildhafte Assoziationen. Sie beginnt im Morgennebel der Streicher, setzt den Hörer im Scherzo ans Ufer der Themse, wo die Holzbläser hibbelig vom Londoner Nachtleben erzählen, und endet wieder im Nebel, mit dem Glockenschlag des Big Ben in der Harfe.

Tate modellierte die Szenen, Bilder und Stimmungen der Sinfonie plastisch aus, fand aber mit seinen Symphonikern und deren Solisten nicht immer zur gewohnten Präzision und Klangkultur. Das Publikum bejubelte ihn trotzdem mit Dankbarkeit und Herzenswärme – auch im Wissen um den grippalen Infekt, der ihn, laut Kühnels Ansage, zwar erheblich geschwächt, aber doch nicht vom Dirigieren abgehalten hatte. God save Sir Jeffrey. Und die Laeiszhalle natürlich auch. Alte Liebe rostet nicht.