Schauspiel

„Kein Pippi-Theater!“ Was man von Marie Bäumer lernen kann

| Lesedauer: 9 Minuten
Stefan Reckziegel

Obwohl sie inzwischen in der Provence lebt, unterrichtet Film-Schauspielerin Marie Bäumer regelmäßig in der Schule für Schauspiel Hamburg. Das Abendblatt hat sie bei ihrem Workshop begleitet.

Hamburg. Die Frau, die da ganz in Schwarz durchs Café rauscht, könnte auch als Catwoman durchgehen. Doch die Comicfigur haben schon andere verkörpert als Marie Bäumer. Sie indes ist nicht für einen Filmdreh in Hamburg, sondern um zu lehren. Eine herzliche Umarmung mit dem Fotografen – beide kennen sich von früheren Terminen – und eine kurze Begrüßung, dann entschwindet Marie Bäumer wieder in den unmittelbar angrenzenden Saal 1 der Schule für Schauspiel Hamburg (SFSH). Sie nimmt ihr Engagement als Gastdozentin der Filmklasse des diesjährigen Abschlussjahrgangs offensichtlich ernst.

In dem hell erleuchteten Raum mit den schwarzen Vorhängen und der schallisolierten Tür ist es hautnah zu spüren. Rap-Musik dröhnt aus den Boxen, Marie Bäumers Anweisungen an die Studenten sind dennoch nicht zu überhören: „Viel mehr Energie, Beine breit!“, ruft sie. „Das ist hier kein Pippi-Theater!“

Sie lässt die Studenten, weibliche und männliche, Kopfstand machen, demonstriert es selbst und fordert von Schauspielschüler Marcel „Vokale, Vokale!“ Der stöhnt und wälzt sich auf dem Boden, als wäre er auf Entzug. „Es muss nicht immer Ekel sein“, mahnt Marie. Immer wieder greift sie korrigierend ein, als sich die Schüler zu zweit gegenüberstehen, um Abschiedsszenen zu spielen. Die wichtigste Regel: „Lasst die Augen auf!“ Die schlanke 44-Jährige wandelt durch den Raum, zappelt dann sogar selbst auf dem schwarzen Boden und rekelt sich – katzengleich –, um ihre Anweisungen spielerisch zu betonen. „Energie halten, nicht aussteigen!“, ruft die Dozentin.

Kein Zweifel, Schauspiel ist Körperarbeit. „Und Filmschauspiel eben auch“, sagt Marie Bäumer in der Pause im Café. Es reiche nicht, dass man denkt: „Da kommt jetzt die Kamera, macht ein Close-up, und dann muss nur noch der Kopf spielen.“ Wie gucken die Schüler, wie bewegen sie sich und atmen sie mit dem Körper, das ist Marie Bäumer wichtig. Und der Kopfstand? Das entlaste das Becken und die Beine wie sonst nie, meint Marie Bäumer. „Es ist sehr gesund, die Welt ab zu mal von der anderen Perspektive aus zu betrachten!“ Und so gewinnen alle Vertrauen.

Die Schüler genießen das Privileg, eine Woche lang in einem Workshop mit Marie Bäumer zu arbeiten. Sie ist noch immer eine der gefragtesten deutschen Filmschauspielerinnen, schon vor 20 Jahren galt sie als neue Romy Schneider. Mitte der 90er-Jahre war sie in Detlev Bucks Komödie „Männerpension“ groß herausgekommen, Anfang dieses Jahrtausends spielte sie Uschi in der Karl-May-Parodie „Der Schuh des Manitu“ vor fast zwölf Millionen Kinozuschauern. Heute gestaltet die gebürtige Düsseldorferin ihr Leben vom Süden Frankreichs aus. Seit einigen Jahren lebt sie in der Nähe von Avignon in der Provence. Ihre familiären und beruflichen Wurzeln indes liegen in Hamburg. Hier ist sie aufgewachsen, hier hat sie das Gymnasium Blankenese und in der Oberstufe die Waldorfschule besucht. Aus Verbundenheit kehrt Marie Bäumer regelmäßig einmal pro Jahr als Gastdozentin an ihre erste Ausbildungsstätte SFSH an der Oelkersallee 33 zurück, ob der Adresse auch als Studio O33 bekannt.

„Ich bin sehr freundlich mit dieser Klasse, ich bin sonst viel strenger“, bemerkt sie lächelnd. Die Gauloises raucht sie mit links. „Ein Regisseur wurde von einem anderen, der mit mir gearbeitet hatte, mal gefragt, wie ich so bin als Schauspielerin, wie es sei, mit mir zu arbeiten“, erzählt sie ohne Koketterie. „Und er sagte: ‚Wenn Marie sich sicher fühlt, spielt sie alles.‘“ Ein schöner Satz. Und ein Kompliment!

Bäumer hat das nicht nur in Komödien eindringlich gezeigt. In Oskar Roehlers Beziehungsdrama „Der alte Affe Angst“ erhielt sie schon vor zwölf Jahren für ihre Rolle als verheiratete und gedemütigte Kinderärztin Marie den Bayerischen Filmpreis, und das Thema „Demut und Demütigung“ hat sie auch in in ihrem diesjährigen Schauspiel-Workshop wieder aufgenommen, ergänzt um den Schwerpunkt Authentizität. Demut sei zwar ein fast schon altertümlicher Begriff, es sei aber wichtig, den Figuren mit Demut zu begegnen. „Als Sehnsuchtsträger der jeweiligen Person und ihrer Handlung, auch wenn man Erfolg hat und scheinbar eine Bedeutung bekommt über ein Millionenpublikum oder die Presse“, sagt sie. „Demütigung empfinde ich komplementär dazu als ein unglaublich spannendes Thema in unserer Zeit, im Alltag, in der Familie und im Beruf. Und Authentizität ist ein wahrhaftiger Ausdruck und eine wahrhaftige Aussage. Ich sage immer: Filmen ist denken und atmen!“

Erst am Mittag ist Marie Bäumer aus München zurückgeflogen, am Vorabend hatte dort ihr neuer Film „Irre sind männlich“ Premiere. Als „schrullig“ bezeichnet sie selbst ihren Part der Sylvie in Anno Sauls Komödie um zwei Therapie-Crasher, die bei den Sitzungen an Frauen herankommen und Abenteuer erleben wollen. Bäumer spielt eine beziehungsgestörte, notorische Familienaufstellungsbesucherin, die sich von einem Mann benutzt gefühlt hat und ihn wiedertrifft. „Nun führt sie ihn vor und macht sich jünger, als sie ist“, erzählt Bäumer. „Und wenn sie gefragt wird, sagt sie: ‚Wieso soll ich mich älter machen, als ich aussehe!?‘“ Die Rede ist hier nur vom Film.

Milan Peschel ist ihr Widerpart, er spielte die Hauptrolle als tumorkranker Vater im ausgezeichneten Drama „Halt auf freier Strecke“ und war bis 2003 auch in Gastrollen am Thalia Theater zu sehen. Es ist bereits ihre zweite Zusammenarbeit nach jener in „Mitte Ende August“, einem Liebesdrama light. „Wir arbeiten an der dritten“, so Marie Bäumer. Produzent und Regisseur sagten, das sei super als Kombination. „Und die Deutschen brauchen dafür eine Komödie“, fügt sie lächelnd an.

Wenn Marie Bäumer in Hamburg ins Kino geht, dann ins Abaton. Das sei „ihr zweites Wohnzimmer“ gewesen in der Zeit, als sie hier gewohnt hatte an der Schlüterstraße im Uni-Viertel. Dem Gründer des ersten deutschen Programmkinos, Werner Grassmann, hat sie mal gesagt: „Bevor dieses Kino schließt, hör ich mit meinem Beruf auf!“ Darauf sagte Grassmann: „Bevor ich aufhöre mit diesem Beruf, wird dieses Kino nicht schließen!“

Derzeit habe sie in Hamburg noch „ein Basislager“, eher ein „pied-à-terre“, ergänzt sie auf Französisch. Eine Deutschland-Basis werde sie behalten, die Verbindung zu Hamburg – bedingt durch Familie, Freunde und die SFSH – bleibt. „Jede Kurve, die hier vorbeiführt, die nehme ich dann“, sagt Marie Bäumer. Frankreich, der französische Film und der Franzose an sich reizen sie offenbar noch mehr. In „Zum Geburtstag“, ein moderner Film Noir des Regisseurs Denis Dercourt, hatte sie bereits im Vorjahr mitgewirkt. Dessen neuer „Pour ton équilibre“ – er wird im Mai und Juni gedreht – war ihr so wichtig, dass sie dafür ein großes Projekt absagte. „Er hat das Potenzial, 2015 in Cannes rauszukommen.“

Marie Bäumer spielt in dem französischem Film nur eine kleine Rolle. „Ich fühl mich eigentlich so wie damals, aber eben auch mit Aufregung einer Anfängerin, die sagt: O Gott, o Gott, wird das alles etwas? Und krieg ich das hin mit der Sprache?“

Die Magie des Kinos. Vor zwei Jahren, bei einem Hamburg-Besuch im Winter, war sie zuletzt in Blankenese, auch im Blankeneser Kino. Sie schaute nur mal ins Foyer. „Ich stand da fast mit Tränen in den Augen. Dass es das noch gibt!“ Als Achtjährige hatte sie dort ihre ersten Kinofilme gesehen – „Pippi Langstrumpf“. „Ich wollte mit Bettdecke und Stofftieren in den Vorführraum, da schlafen, aufwachen und gleich weitergucken“, erinnert sie sich lächelnd. Die Leidenschaft für den Schauspielberuf fängt bei manchen eben ganz früh an.

Marie Bäumer hat ihre Zigarette im Café längst aufgeraucht. Sie will zurück zu ihren Studenten. „Ich sag zu denen immer: Der Beruf ist schrecklich schön, zwischen Traum und Albtraum.“ Mit einem Lachen geht sie in den letzten Teil des Workshops. Die Schauspielschüler können sich freuen.

„Irre sind männlich“ ab 24.4. im Kino, Filmbesprechung im LIVE-Heft vom Do. 24.4.