„Dummheit wird nicht gewinnen“

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Joachim Mischke

Nach 13 Jahren als Sänger der Band Kettcar legt Marcus Wiebusch jetzt mit „Konfetti“ ein starkes, sensibles und wütendes Solo-Debüt vor

Hamburg. Ob seine neue Platte eine Männerplatte ist? „Interessant“, sagt das Gegenüber und schaut verdutzt, „darüber habe ich mir noch nicht eine Sekunde Gedanken gemacht.“ Zehn Jahre mit den Jungs in der Band, vier Studio-Alben, unzählige Auftritte. In seiner Gewichtsklasse, bei den Aufrichtigen und den Sperrigen, ist Marcus Wiebusch, Sänger und Gesicht der Hamburger Indie-Rock-Band Kettcar, ein Godfather der klaren Ansage. Ob „Konfetti“ eine Ü-40-Platte ist? „Ist das so?“ Ob jemand hier aber so richtig sauer ist? „Ja, hier und da werde ich wütend.“ Pausentaste. Einmal kurz nostalgisch werden zur musikideologischen und lokalpatriotischen Einordnung dieses Herrn, danach sind wir wieder ganz im Hier und Jetzt.

„Landungsbrücken raus“ war vor elf Jahren eine dieser herzensgut krachenden Kettcar-Hymnen, eine der schönsten Liebeserklärungen an das unpolierte Hamburg, das man so nur sieht, wenn die Sonne aufgeht und man noch einen im Kahn hat von der letzten Nacht. Und jetzt sitzen wir zwei Ü40er hier in Kieznähe, im klitzekleinen Büro von Marcus Wiebusch, wo er als Mitbegründer des Plattenlabels Grand Hotel van Cleef Platten macht, Konzerte organisiert und Träume aus Musik wahr werden lässt.

Sein Bruder ist schwul, er selbst ist seit Jahren St.-Pauli-Fan

Wiebusch ist jetzt 45 und hat Familie und wohnt in Ottensen. Und hat jetzt „Konfetti“, seine erste eigene Platte am Start, nur als Marcus Wiebusch und nicht mehr als Sänger von Kettcar. Und beginnt mit dem Song „Off“, über das „Gefühl von ganz im Hier und Jetzt. Ich kenne das auch“, sagt Wiebusch, „dieser Junge an der Wasserkante mit neun, der sich fragt, wo bin ich gerade gewesen? Dieses Gefühl verlieren wir, das ist bitter. Und eine ganze Wellness-Industrie versucht ständig, uns das zurückzuverkaufen. Aber dieses Gefühl schaffst du nur, wenn du off bleibst. Wenn du dir Zeit nimmst – so wie früher.“

Im Titelsong geht’s um die tägliche Flucht nach vorn. Wiebusch singt raunend, düster aufmuckend vom Abspringen als Löwe und vom Landen als Bettvorleger. Ein bekanntes Band-Gesicht wird übermütig, will es den anderen zeigen? So etwas wäre ja nicht das erste Mal. Aber an Wiebusch will dieses Klischee nicht kleben. Er wirkt echt gespannt, ob diese Entscheidung für so viele Gesellschaftsthemen so gut und so richtig war, wie sie sich für ihn anfühlt. Im „Freitag“ wurde er gerade „Peter Maffay der inzwischen erwachsenen Indie-Generation“ genannt, und ein Kompliment war das nicht. „Ich schwebe gerade sehr in der Luft“, sagt er, den hohen Körper in ein Stühlchen gefaltet, die bisherigen Reaktionen reichen von „totaler Zustimmung bis zu abgrundtiefem Hass.“

„Der Tag wird kommen“ ist kein Song, das ist eine Liebes- und eine Kriegserklärung. Sieben Minuten lang regt sich Wiebusch auf. Sein Bruder ist schwul, er selbst ist seit Jahren St.-Pauli-Fan. Er erzählt die Geschichte eines Jungen aus Wilhelmsburg-Süd, der es im Fußball-Business rasant nach oben schafft, dafür aber seine Gefühle verleugnet. „Warten, bis die ganze Scheiße auffliegt... All ihr miesen kleinen Geister mit Wachstumsschmerzen, kommt zusammen und bildet eine Front. Und dann seht zu, was kommt.“

Aufgesetzt hat Wiebusch diese Anklageschrift schon vor dem Outing des Ex-Profis Thomas Hitzlsperger. Auf die Konzertbühne bringen will Wiebusch sein Bekennerschreiben, bis der erste aktive Fußball-Profi sich outet. „Da wollte ich sie wirklich benennen, die Dümmsten der Dummen, die Bibelzitierer. Ich weiß, dass das moralisch ist, aber ich steh dazu.“ Von wegen, jetzt sei doch bitte alles durch und gesagt. „Das ist genau die Haltung, für die ich nur Verachtung habe. Wir haben keinen einzigen Profi, der sich outet. Aber das muss alles nicht so sein. Wenn du mir vor zehn Jahren gesagt hättest, wir werden mal einen schwulen Außenminister haben, der in Länder reist, wo Homosexualität unter Strafe steht, hätte ich dir gesagt, das wird nie passieren. Guck dir an, wo wir heute sind. Dummheit wird nicht gewinnen.“

Wo Wiebusch nicht draufsteht, ist trotzdem viel Wiebusch drin, das war schon bei den Kettcar-Alben so. Warum also die Pause von den anderen und der viel riskantere Alleingang? „Viele Sachen wären mit Kettcar nicht gegangen, zum Beispiel der Sprechgesang. Es brennt, es lodert, ich kann nichts mehr rausnehmen. Das hätte sehr viele Diskussionen gegeben. Ich wollte das nicht mehr. Und als ich gesagt habe, ich mache ein Solo-Album, da kam die Pause. Die anderen fanden das hilfreich. ,Zwischen den Runden‘, das letzte Album, das war schon sehr anstrengend. Daher war diese Pause auch gut.“ Wann geht’s weiter? „Grob gesagt, wenn der Sturm vorbei ist, nach dem Sommer. Jetzt kann ich an nichts anderes denken.“ Ein erster Hamburger Konzerttermin ist bereits gebucht, 29. Oktober, Markthalle. Ein Heimspiel für den Ex-Punk Wiebusch.

Als Jahrgang 68 hat Wiebusch offenbar gut hingesehen und vieles entdeckt, was ihn rechtschaffen auf die Palme bringt. Bei „Jede Zeit hat ihre Pest“ bekommen die vielen Besserwisser ihre Quittung, die „immer ganz weit vorn“ sein wollen, obwohl sie selbst nicht glauben, was sie von sich geben. Haltungsfragen, das sind die Fragen, die Wiebusch interessieren. Ihn nervt dieses Posieren genug, um frontal dagegenzuhalten. Jeder geht anders mit dieser Lebensphase um. Und falls doch einer fragt, Mensch Wiebusch, hättest du nicht einfach noch ein paar geile Liebeslieder schreiben können? „Vielleicht bei der nächsten Platte.“

Ein knappes Dutzend Songs sind so zusammengekommen, mit sieben Produzenten wurde gefeilt und poliert. Nur einer von ihnen war ein Bekannter. „Ich wollte es mir nicht gemütlich machen.“ Skizzen und Rohlinge gab es für etwa 20. „Der Fernsehturm liebt den Mond“, eines dieser leicht verpeilten Liebesmärchen, bei denen Kettcar-Fans gern die Feuerzeuge rausholen, war nach zwei Nachmittagen fertig, der Fußball-Song brauchte „Mo-na-te. Aber der Schluss ging dann schnell. Und als ich den Schluss-Monolog hatte, hat es mich wirklich gepackt. Ich ging aus meinem Studio abends wieder zurück in meine Wohnung, und bei dem Gang dachte ich wirklich: ,Alter, was hast du getan ?‘“

Was macht dieses Album mit einem, Marcus, wie soll man danach wieder zurückfinden ins vertraglich geregelte Irgendwie zwischen Kantinenplan und Wochenende? „Das kann ich dir doch nicht beantworten“, kommt nur zurück. „Ich hab die absolute Freiheit gehabt hier. Mehr Marcus Wiebusch als jetzt geht nicht.“ Der Erfolgsdruck, den er jetzt spürt, den hat er sich selbst eingehandelt. „Du musst das ja mal so sehen: Wenn ich jetzt restlos verkacke, kann ich nicht auf Tour gehen. Und wenn ich nicht auf Tour gehen kann, wird es schwierig mit meinem Lebensunterhalt. Wenn ich mit dem vierten Kettcar-Album danebenhaue, spiel ich einfach die Hits vom ersten und zweiten. Aber ich muss jetzt hier abliefern.“

Und das klitzekleine Wiebusch-Büro hat nur ein klitzekleines Fenster, nach hinten raus und vergittert. Ob die Stäbe für innen oder außen gedacht sind, erkennt man nicht.