Lange gab es Streit um das Lesefest und etliche Gegenveranstaltungen: Nach dem Rückzug des Energieversorgers ist Hamburg um eine literarische Institution ärmer.

Hamburg. Die Vattenfall Lesetage werden künftig nicht mehr stattfinden. Der Sponsor des Lesefests zieht sich nach 15 Jahren zurück. Ein Umstand, den die Kulturszene bedauert. Peter Lohmann, Organisator des im September stattfindenden Harbour Front Literaturfestivals, sprach von einer „Bereicherung des kulturellen Lebens“, die die Lesetage beständig gewesen seien – „Konkurrenz waren sie für uns nie, weil ihr Platz im Frühjahr war.“

Im kulturellen Jahreskalender könnte das Festival künftig fraglos fehlen. Dass es seit fünf Jahren mit dem Harbour Front Festival ein qualitativ sogar noch etwas hochwertigeres Lesefest gibt, tröstet da kaum. Man kann das Bedauern von Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) also verstehen, die zu Recht auf den bedeutenden Umfang verweist, den das Engagement des Energiekonzerns anderthalb Jahrzehnte lang hatte. Rainer Moritz, der Chef des Literaturhauses, hob ebenfalls auf die Wichtigkeit des Festivals ab, sagte aber auch: „Natürlich lässt sich darüber streiten, ob es unterstützenswert ist, wenn ein Energiekonzern wie Vattenfall seine Firmenpolitik mit Kultur aufwerten möchte.“

Der Hauptgrund für das Ende des Festivals könnte tatsächlich außerhalb der von Pieter Wasmuth geäußerten Begründung liegen: Der Hamburger Vattenfall-Chef sprach von den anderen Formaten, die sich zuletzt an die Seite der Lesetage gesellt hätten. Vielleicht meinte er damit, dass es des Vattenfall-Einsatzes nicht mehr bedurft hätte. Vielleicht störte er sich insgesamt aber auch am kräftigen Gegenwind für das Engagement des Energieriesen in den vergangenen Jahren – und der damit verbundenen schlechten Presse.

Die gipfelte im April zum Start der 15. Ausgabe des Festivals in einem für manche stellenweise bizarr anmutenden Rundumschlag der Kulturmacherin Barbara Heine, die vorher viele Jahre lang ein gut besetztes und vom Publikum glänzend angenommenes literarisches Programm kuratiert hatte. Die offenbar von der beständigen Kritik – sie betraf freilich nie künstlerische, sondern ausschließlich gesellschaftliche und umweltpolitische Fragen – entnervte Kulturmanagerin soll Autoren, die an der Veranstaltung „Lesen ohne Atomstrom“ teilnahmen, ziemlich konfrontativ angegangen sein.

Die Vattenfall-Gegner fühlten sich nachher von den Äußerungen in hohem Maße diskreditiert. Vattenfall nutzte es wenig, dass es sich von seiner sonst über alle Zweifel erhabene Organisatorin zügig distanzierte und von einem „sehr unglücklichen Vorgehen“ Heines sprach. So oder so war das Kind spätestens da ganz in den Brunnen gefallen, der Rückzug Vattenfalls dürfte nun niemanden überraschen.

Lässt man mal alle energiepolitischen oder firmenstrategischen Überlegungen beiseite, ergab sich für die Lesegemeinde im Frühjahr übrigens immer eine äußerst attraktive Situation: Sie konnte, auch durch die vielen Gegenveranstaltungen, aus einem breiten Angebot schöpfen. Zumindest offiziell zeigte sich Vattenfall immer äußerst zahm hinsichtlich der Gegen-Lesetage, sprach gar „von einer Bereicherung für die Stadt“. Mit Interesse dürfte man auf Seiten des Konzerns nun verfolgen, inwieweit sein Sponsoring – das ja von den Initiativen immer als nicht notwendig erachtet wurde – nun tatsächlich fehlen wird. Wo das vermeintliche Übel entfernt wurde, könnte sich demnächst nämlich eine komplette Leere breit machen – ohne Unterstützung von Wirtschaftsunternehmen läuft nun einmal nicht so viel in der Kultur.

Heiko Böttner, der Sprecher von „Lesen ohne Atomstrom“, versprach immerhin weitere Anstrengungen: „Die Kritik an den Vattenfall Lesetagen war eine Kritik des Greenwashings und richtete sich nicht gegen ein Literaturfestival. Deswegen betrachten wir es als unsere neue Aufgabe, nun an einem wirklich unabhängigen und nur der Literatur verpflichteten Programm weiterzuarbeiten.“ Es wäre dem Literaturstandort Hamburg zu wünschen. Um die Vattenfall Lesetage ist es trotzdem mehr als nur schade.