"Warum sollte ich nein sagen, solange ich noch singen kann?"

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Joachim Mischke

Anja Silja sang 1960 erstmals in Bayreuth und war 1974 bis 1978 Ensemblemitglied der Hamburgischen Staatsoper.

Hamburg. Fünf Minuten vor der Zeit ist des Sängers Pünktlichkeit - nicht immer. Doch auf eine Ausnahme-Künstlerin wie Anja Silja ist auch in dieser Hinsicht Verlaß; die legendäre Sopranistin wartet schon am Staatsopern-Bühneneingang. Eine Probe für die Wiederaufnahme von Poulencs "Dialogues des Carmelites" ist gerade vorbei, wenig später geht's in der Laeiszhalle weiter, dann aber mit den Symphonikern, mit denen die 65jährige am Sonntag ein konzertantes Debüt vor sich hat: Sie singt dort, erstmals im Laufe ihrer beispiellosen Karriere, Mussorgskys "Lieder und Tänze des Todes". Zwischendurch geht es noch für ein Benefizkonzert für die Anna-Amalia-Bibliothek nach Weimar. Bei einem kurzen, angenehm flotten Plausch vor der Mittagspause bleibt aber dennoch genügend Zeit für ungeschminkten Klartext.

ABENDBLATT: In der Premieren-Serie vor gut zwei Jahren sangen Sie die Mère Marie, jetzt ist's die Priorin, die schon im ersten Akt stirbt. Schade eigentlich. Warum dieser Rollenwechsel?

ANJA SILJA: Weiß ich auch nicht.

ABENDBLATT: Ach. Hat man Ihnen nicht gesagt, daß Sie eine andere Partie singen?

SILJA: Doch, natürlich, aber nicht den Grund. Ich denke, diese Rolle wird fast immer mit einem Gast besetzt, alles andere hat man ja gewöhnlich im Hause. Ich wollte eigentlich die Mère Marie behalten und hab' dann dieser Rolle zugestimmt, weil mir Nikolaus Lehnhoffs Inszenierung besonders am Herzen liegt. Hat sich halt so ergeben.

ABENDBLATT: Ist das nicht sehr sonderbar, wenn man dann gewissermaßen neben sich steht?

SILJA: Stimmt schon. Aber inzwischen stehe ich in fast allen Rollen neben mir, da ich ja auf die Mütterrollen gewechselt habe.

ABENDBLATT: Wie kam es zur Arbeit mit den Symphonikern?

SILJA: Das wollte deren Intendant unbedingt. Die Lieder werden normalerweise von einem Baß gesungen, aber angeblich hat Mussorgsky gewollt, daß, da der Tod im Russischen weiblich ist, diese Lieder auch von Frauen gesungen werden. Ich kannte die Lieder bisher gar nicht und finde sie wunderbar.

ABENDBLATT: Ich hätte vermutet, daß Sie Ihr gesamtes Repertoire schon durch hätten.

SILJA: Ich eigentlich auch.

ABENDBLATT: Ist Ihr Terminkalender nach wie vor so voll?

SILJA: Es ist nicht mehr ganz so wie früher, aber bis 2008 geht das jetzt noch so weiter, darüber bin ich selbst erstaunt. Als nächstes kommt mit Levine "Erwartung" in der Carnegie Hall und "Pierrot Lunaire" in Boston, dann "Pierrot" mit Boulez, dann eine "Jenufa" an der Met, dann wieder "Osud" in Wien. So in dem Stil.

ABENDBLATT: Sie können offenbar nicht nein sagen.

SILJA: Ich kann schon. Aber warum sollte ich, solange ich noch singen kann?

ABENDBLATT: Gibt es noch eine persönliche Wunschliste?

SILJA: Das nun wirklich nicht mehr. Bis 2008 ist alles verplant mit den Rollen, die ich schon gesungen habe - wenn ich bis dahin noch lebe, mach' ich daher weiter. Wenn nicht, ist das auch kein Problem, dann fallen die Verträge sowieso flach.

ABENDBLATT: Das sehen Sie aber sehr profan.

SILJA: Wie sollte ich es anders sehen? Ich singe ja schon seit 56 Jahren und lebe noch länger, das kann mich nun wirklich nicht mehr aufregen.

ABENDBLATT: Eine Neuauflage des Rummels, den es in Ihrer Jugend um Sie als Bayreuther Wagner-Girlie gab, ist gerade bei Anna Netrebko zu besichtigen.

SILJA: Über dieses Thema möchte ich nicht sprechen, ich begreife es ganz und gar nicht. Bei mir war das gute Aussehen früher eher ein Handicap - heute ist es fast das einzige, wovon man in diesem Fall ununterbrochen liest.

ABENDBLATT: Ihr Ex-Mann Christoph von Dohnanyi ist NDR-Chefdirigent, haben Sie Kontakt?

SILJA: So gut wie gar nicht.

ABENDBLATT: Können Sie sich Konzerte mit ihm vorstellen?

SILJA: Vorstellen schon, aber nein, das wollen wir ja beide nicht. Meine Kinder waren gerade in einem seiner Konzerte hier, daher weiß er wohl auch, daß ich momentan hier bin. Auch daß wir nach wie vor sehr aktiv sind, wissen wir natürlich gegenseitig durch unsere Kinder.

ABENDBLATT: Gibt es Regisseure, denen Sie sofort eine Partie zusagen würden? Sie sehen sich doch sicher eine Menge anderer Inszenierungen an und schauen nicht nur auf die eigenen.

SILJA: Mehr oder weniger nur die, in denen ich singe. Hin und wieder gehe ich aber auch in Proben anderer Stücke, wenn ich gerade in der Stadt bin. Doch ich glaube, keiner meiner Kollegen, ab einer gewissen Altersklasse zumindest, geht freiwillig in die Oper, nur um da einen Abend zu verbringen, das wäre ja geradezu pervers. Ein Chirurg steht ja auch nicht im OP daneben, wenn ein anderer da herumschneidet. Doch zur ersten Frage: Robert Wilson würde ich jederzeit alles zusagen.

  • Dialogues des Carmelites : heute, 18., 23., 25. 11. jew. 19 Uhr, Staatsoper, Dirigent: Michel Plasson. Tel.: 35 68 68.

Symphoniker-Konzert : 20. 11., 19 Uhr, Laeiszhalle, Gr. Saal, Dirigent: Alexander Dmitriev. Kartentel.: 0180 / 51 70 517.