Drehbuch-Skandal beim NDR

Der Staatsanwalt ermittelt

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Karin Franzke, Karolin Jacquemain, Jan-Eric Lindner und Kai-Hinrich Renner

Anfangsverdacht gegen Doris J. Heinze wegen möglicher Korruptions- und Betrugsvergehen - NDR prüft alle relevanten Projekte.

Hamburg. Die Staatsanwaltschaft hat ein Vorermittlungsverfahren gegen die seit Donnerstag suspendierte NDR-Fernsehspielchefin Doris J. Heinze wegen des Verdachts von Korruptions- und Betrugsvergehen eingeleitet. Die Presseveröffentlichungen über mögliche Unregelmäßigkeiten bei der Auftragsvergabe hätten einen Anfangsverdacht ergeben, sagt Sprecher Wilhelm Möllers. Nach Abendblatt-Informationen arbeitet die Staatsanwaltschaft bei den bereits angelaufenen Ermittlungen mit dem NDR zusammen. "Wir haben engen Kontakt", so Möllers.

Wie funktionierte das "System Heinze"? Anders gefragt: Wer wusste, dass Niklas Becker ein Pseudonym war, unter dem Heinzes Ehemann seine Drehbücher geschrieben haben soll? Heinze hat, wie das Abendblatt gestern berichtete, zugegeben, dass sie ihrem Mann in den Jahren 2001 bis 2009 über zwei Münchner Produktionsfirmen insgesamt fünf Drehbuchaufträge für Fernsehfilme zugeschanzt hatte. Die Autoren-Honorare dafür bewegen sich normalerweise zwischen 40 000 und 80 000 Euro pro Buch.

Darunter war auch der Auftrag für den TV-Film "Katzenzungen". Regisseur Torsten C. Fischer sollte 2003 das Drehbuch von Niklas Becker überarbeiten und versuchte deshalb, mit dem Autor in Kontakt zu treten. Unmöglich, sagten ihm die verantwortliche Redakteurin Doris J. Heinze und die Produzentin der AllMedia, Heike Richter-Karst: Der Autor lebe in Kanada, er sei viel unterwegs und leider auch telefonisch so gar nicht erreichbar.

Fischer, der Beckers Drehbuch für schwach hielt, schrieb eine komplett neue Fassung, die in dieser Form auch verfilmt wurde. Als Drehbuchautor firmierte allerdings weiterhin Niklas Becker - und wurde auch dafür bezahlt.

Fischer erhielt nur ein Honorar. Ein Vertrag, der, wie bei den öffentlich-rechtlichen Sendern in vielen Fällen üblich, Wiederholungshonorare vorsieht, wurde seiner Agentur verweigert. Das sei mit dem Autor Becker so vereinbart, erklärte das Duo Heinze/

Richter-Karst. "Sie sagten mir, dass der Film nur zu diesen Bedingungen gedreht würde. Oder eben gar nicht", sagte Fischer zum Abendblatt.

Dieses Beispiel beschreibt ziemlich präzise die Arbeitsweise von Doris J. Heinze - mit der allmächtigen Fernsehspielchefin wollte es sich niemand verderben. Sie konnte Verträge an Drehbuchautoren, Regisseure, Produktionsfirmen vergeben, immerhin produziert der NDR pro Jahr sechs "Tatort"-Folgen, zwei Fälle für den "Polizeiruf 110" sowie zwischen acht und zwölf Fernsehfilme beziehungsweise ist an Kinofilmen beteiligt. Sie förderte Lieblingsschauspielerinnen wie Maria Furtwängler oder Veronica Ferres. Hatte einen guten Ruf als Talentscout. Und Einfluss auf Sendeplätze. Ihre Fachkompetenz zweifelte kaum einer an, ihr Geschmacksurteil, ihr Wort galt.

Auf das vertrauten ihre Chefs. So auch im Fall Niklas Becker. "Wenn Frau Heinze sagte, das ist ein klasse Drehbuch, sensationell, spitze - dann gab es für uns keinen Grund, an ihrem fachlichen Urteil zu zweifeln", sagt Frank Beckmann, seit 1. November 2008 NDR-Programmdirektor Fernsehen, zum Abendblatt.

Dass sie ihren Mann indirekt beschäftigt habe, ziehe jetzt arbeitsrechtliche Folgen nach sich - der NDR bereite die fristlose Kündigung vor. Denn "kein Mitarbeiter des NDR darf auf Rechnungen und sonstigen Belegen des NDR Anforderungs-, Anordnungs-, Genehmigungs-, Prüfvermerke und dergleichen unterschreiben oder Zahlungen anweisen, die ihn selbst oder Angehörige betreffen", heißt es im entsprechenden Passus der Geschäftsordnung des Norddeutschen Rundfunks zur Vertretungs- und Zeichnungsberechtigung.

Mit Unterstützung der Produktionsfirma AllMedia konnte diese familiäre Verbindung verschleiert werden. Die Produktion der vier Fernsehfilme, deren Drehbücher Strobel alias Becker schrieb, bot die Münchner Produktionsgesellschaft dem NDR im Paket an. Mit dem Drehbuchautor selbst hatte der Sender keinen Kontakt. Das bestätigt auch Andreas Maier. Er ist Partner in der angesehenen Hamburger Anwaltskanzlei Senfft, Kersten, Nabert & Maier. Und Strobel, den er nach wie vor "Herrn Becker" nennt, ist seit vielen Jahren sein Mandant. Er habe ihn gegenüber Produktionsfirmen vertreten, sagt Maier, nie aber gegenüber dem NDR.

Aus materieller Sicht ist dem NDR nach gegenwärtigem Stand kein Schaden entstanden, es sind branchenübliche Honorare gezahlt worden, und der Sender hat sogenanntes "Programmvermögen" dafür bekommen. Aber, so Beckmann zum Abendblatt: "Sie hat die wahren Verhältnisse verschleiert - und das ist verboten." Doris Heinze musste am Donnerstag umgehend ihr Büro räumen, Diensthandy und Blackberry wurden ihr abgenommen.

Dabei hätte das Ehepaar Heinze/Strobel nicht nur finanziell solche Tricksereien nicht nötig gehabt: Beide konnten offiziell dem NDR Drehbücher anbieten - diese mussten dann aber von Kollegen bearbeitet werden. Und natürlich durfte die Abteilungsleiterin nicht mit sich oder ihrem Mann die Vertragsverhandlungen führen.

Beim NDR werden seit Bekanntwerden der Vetternwirtschaft alle relevanten von Heinze verantworteten Projekte rückwirkend überprüft. Notfalls bis hin zur letzten Taxi-Quittung, wie es heißt.