Hamburg. Auch in einer Theaterrevolution kann politischer Zündstoff stecken. Die nach ihrer Premiere bejubelte und von einigen Hamburger Millionären kritisierte Inszenierung "Marat, was ist aus unserer Revolution geworden?" am Schauspielhaus (wir berichteten) sorgt für immer mehr Aufsehen. Nun meldet sich auch die Kultursenatorin zu Wort - mit heftiger Kritik am Epilog des Stückes, in dem die Namen der reichsten Hamburger laut verlesen werden. "Einzelpersonen an den Pranger zu stellen ist in meinen Augen eine billige, populistische Form, Kritik auszudrücken", so von Welck in einem gestern Abend veröffentlichten Schreiben. "Zum Glück gibt es heute in unserem Land künstlerische Freiheit, weswegen ich als für Kultur zuständige Senatorin und selbst als Aufsichtsratsvorsitzende des Schauspielhauses nicht in einzelne Inszenierungen eingreifen will und darf", aber "als Bürgerin" sei ihr "die Art und Weise, wie in dieser Inszenierung einzelne Menschen in Misskredit gebracht werden, zuwider".
Derart zuwider, dass sie eben doch versucht hat, einzugreifen und den Epilog zu verhindern? Zumindest am Theater scheint dieser Eindruck entstanden zu sein. Meike Harms, Mitglied des Hartz-IV-Chors, berichtet: "Uns hat man gesagt, dass sie vor der Premiere deshalb mit dem Intendanten gesprochen hat. Ich fand es irre, dass diese Frau das Stück noch gar nicht gesehen hatte und den Epilog verbieten lassen wollte." Auch Volker Lösch, Regisseur des Stückes, bestätigt den versuchten Eingriff in die künstlerische Freiheit: "Sie hat versucht, Einfluss zu nehmen. Das hat mir Herr Schirmer so erzählt." Der Intendant selbst, der sich derzeit auf einer Dienstreise befindet, war gestern Abend nicht mehr zu einer Stellungnahme bereit.
Die Reaktion der Kultursenatorin auf diese Anschuldigungen ist dagegen eindeutig: "Das stimmt nicht!", erklärte sie gegenüber dem Abendblatt. Sie habe sich lediglich über das Stück informiert, aber nicht Einfluss genommen.
Regisseur Volker Lösch allerdings empfindet "auch dieses veröffentlichte Schreiben als Versuch einer Einflussnahme. Eine Senatorin greift immer als Senatorin und nicht als Bürgerin ein. So eine Erklärung ist ein subtiler Versuch der Einflussnahme und als solches ein kleiner Skandal."
Lösch ist in der Erklärung der Senatorin direkt angegriffen worden: "Ich traue einem Regisseur, der an einem Theater wie dem Deutschen Schauspielhaus inszenieren kann, differenziertere und reifere Möglichkeiten zu, unser Gesellschaftssystem kritisch zu hinterfragen und den Zuschauer zum Nachdenken zu bewegen."
Zudem verweist von Welck auf die "sehr großzügigen Spenden" der genannten Millionäre wie auch auf "die Steuern, die sie zahlen".
Chormitglied Meike Harms versteht die Aufregung nicht: "Wir sagen doch gar nicht, dass die Reichen schlecht sind. Es geht doch bloß darum, die Schere zwischen Arm und Reich zu verdeutlichen."
Der eigentliche Skandal, findet Volker Lösch, sei, dass man zwar Hartz-IV-Empfänger auf die Bühne stellen, aber nicht über Reichtum sprechen dürfe: "Das Thema ist offensichtlich ein Tabu." Der Regisseur zieht aus den Reaktionen nun seine eigenen Konsequenzen: "Ich kündige hiermit eine Inszenierung über das Thema Reichtum an."
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