Jazzbaltica: Jazz-Legende Ornette Coleman über seine Musik

"Ich mache Fortschritte"

| Lesedauer: 5 Minuten
Joachim Mischke

Der legendäre Free-Jazz-Saxofonist Ornette Coleman kommt am 6. Juli mit seinem Quartett für eines seiner seltenen Konzerte zum "on sax"-Festival nach Salzau.

Hamburg. Bloß weil man Ornette Coleman konkrete Fragen stellt, braucht man nicht zu glauben, dass man von ihm in melodischem "Texas style"-Nuscheln auch konkrete Antworten bekommt. Aber einen wie ihn gibt es nicht mehr in der Jazz-Welt. Miles ist tot, Trane ist tot. Ornette ist nach wie vor "alive and kicking". Vor rund fünf Jahrzehnten betrat er die Szene, und es war, als sei der leibhaftige Teufel losgelassen worden, um das Publikum zu überrumpeln. Begleitmusiker verließen geschlossen die Bühnen, weil sie nicht verstanden, was dieser seltsame Typ mit seinem Plastik-Saxofon, seiner Trompete und seiner Geige erzählen wollte. 1961 erschien sein Album "Free Jazz". Damit hatte das Ungeheure, das Unfassbare einen Namen, und die Gegner dieser Unabhängigkeitserklärung von Regeln und Strukturen hatten ein prima Feindbild. Doch Coleman blieb seiner Musik treu. Inzwischen ist er im Olymp angekommen, bezieht - für einen Jazzer - astronomisch hohe Gagen, hat unter anderem einen Grammy und sogar einen Pulitzer-Preis erhalten. Das diesjährige JazzBaltica-Festival, das unter dem Motto "on sax" steht, endet am 6. Juli mit einem Auftritt von Coleman und seinem bewährten Quartet mit zwei Bassisten in der Salzauer Konzertscheune.


Abendblatt:

Der Jazz-Theoretiker Stanley Crouch hat Sie mit Thomas Alva Edison und Duke Ellington verglichen. Sie haben offenbar doch so einiges richtig gemacht in Ihrem Leben.

Ornette Coleman:

Ich mache Musik, seit ich ein Teenager war. Dass ich immer auf dem richtigen Weg war, macht mich stolz. Was immer ich dabei gefunden habe, habe ich mit meinen Musikern geteilt.



Abendblatt:

Heißt das, dass Sie mit den Resultaten zufrieden sind?

Coleman:

Soweit ich das beurteilen kann, ja. Für die Welt kann ich allerdings nicht sprechen.



Abendblatt:

Wo finden Sie Ihre Inspirationen? In der Natur? Im Glauben? Bei Freunden? Bei gutem Kaffee?

Coleman:

Ich finde sie in jedem einzelnen Moment.



Abendblatt:

Es gibt Künstler, die die Einsamkeit brauchen, um dadurch kreativ werden zu können.

Coleman:

So denke ich nicht.



Abendblatt:

Woraus besteht für Sie der Unterschied zwischen Musik und Klang?

Coleman:

Der Klang ist für alle gleich - Musik ist eine Idee für diejenigen, die sie in dieser Form umsetzen können.



Abendblatt:

Zu Beginn ihrer Musikerlaufbahn waren Sie mehr als umstritten, jetzt könnten Sie befriedigt feststellen, dass Sie letztlich auf dem richtigen Weg waren und die anderen Unrecht hatten.

Coleman:

Ich denke niemals in Kategorien wie richtig oder falsch. Ich denke daran, besser zu sein. Und ein Klang erzählt Ihnen nicht, was er tut, sondern nur, wie er Sie beeinflusst.



Abendblatt:

Sie wurden in den frühen 60ern zum Revolutionär ernannt, wurden beschimpft und verlacht. Mittlerweile, mit 77 Jahren, sind Sie selbst Teil einer Tradition. Wie fühlt sich das an?

Coleman:

Das mag ja alles richtig sein, was Sie da erwähnen. Aber ich habe mich ja nicht verändert. Ich habe nur versucht, besser zu werden.



Abendblatt

Geben Sie Ihre Konzerte tatsächlich für das jeweils anwesende Publikum - oder sind diese Menschen für Sie eher zufällig im Raum befindliche Wesen?

Coleman:

Das ist manchmal eine Mischung aus beidem. Wenn ich einen Job bekomme, gehe ich auf die Bühne, spiele, was ich geschrieben habe und beobachte, ob es funktioniert. Wenn ich dann eine Reaktion bekomme, merke ich, dass ich mich verbessere.



Abendblatt:

Welche Musik hören Sie, um sich inspirieren zu lassen?

Coleman:

Alles mögliche.



Abendblatt:

Auch Klassik?

Coleman:

Nein, es gibt keine bestimmte Stilrichtung. Für mich zählt immer nur die Idee.



Abendblatt:

Eines Ihrer frühen Alben hieß "The Shape of Jazz to Come". Ist diese Aufgabe erfüllt?

Coleman:

Das war sie meiner Meinung nach bereits, bevor ich sie auf diesem kommerziellen Weg ausdrücken konnte.



Abendblatt:

Welcher Musiker kann in Ihrem Sinne und auf Ihrem Niveau fortführen, was Sie vor Jahrzehnten begonnen haben?

Coleman:

Diese Person muss zwei Dinge analysieren: die menschliche Natur und die Weiterentwicklung von dem, was wir Ideen nennen.



Abendblatt:

Sie schreiben seit etlichen Jahren an einem Buch, das Ihre sehr theoretische Theorie der "Harmolodics" den Rest der Welt erklären soll. Wie steht's damit?

Coleman:

Ich mache Fortschritte.



Konzert : 6. Juli, ab 19.45 Uhr. Ornette Coleman (as / violin / tp), Denardo Coleman (dr), Gregory Cohen, Tony Falanga (b). Kartentel.: 0431 / 570 470. Infos: www.jazzbaltica.de .