Hamburg. Eingeflogen aus Salzburg. Kunstfest-Chefin in Weimar. Gestern Abend ein Auftritt in der Hamburgischen Staatsoper. Wer mit Nike Wagners Tempo mithalten will, darf nicht zimperlich sein. Ihr Vortrag stand unter der Überschrift: "Glaub mir, so ist noch nie komponiert worden!" In anderthalb Wochen sollen den Worten Noten folgen - am 16. März ist "Rheingold"-Premiere an der Dammtorstraße. Über das Regie-Konzept von Claus Guth hat ihr noch niemand etwas erzählt. Doch über Wagner kann man sich mit Wagner auch so bestens unterhalten.
Abendblatt
Was kann man in einem "Ring" noch zeigen, was nicht schon etliche Male durchinszeniert worden ist?
Nike Wagner:
Da bin ich viel optimistischer als Sie. Ich glaube, dass jeder kreative Geist, der sich damit beschäftigt, wieder etwas findet. Dieser Riesen-Steinbruch ist vollgestopft mit Themen. Man wird immer wieder neue Aspekte entdecken.
Abendblatt
Welcher ist Ihnen der wichtigste?
Wagner:
Der allgemeine Aspekt - die Konfrontation von Macht und Liebe, die Machtmenschen gegen die wenigen Liebesmenschen. Und der speziell politische. George Bernard Shaw wird mit seiner Sicht des "Rings" als Kapitalismuskritik immer recht haben.
Abendblatt:
Gibt es eine Antwort auf die Frage "Was macht Wagner so besonders?" mit weniger als 100 Seiten Länge?
Wagner:
Wahrscheinlich halt doch das, was Thomas Mann mit "Welterotik" bezeichnet hat. Darauf beruht die immense Magie, die die Musik ausstrahlt, ihr Klangzauber, ihr motivischer Beziehungszauber. Und natürlich seine Themen, fast immer riesige Familiengeschichten. Jeder kann eigene Geschichten darin wiederfinden, gewaltig überhöht, in die Kunst transponiert. Wagner war ein genialer Dramatiker, ein genialer Theatraliker, er konnte komplexeste Situationen schlagkräftig verdichten.
Abendblatt:
Jetzt mal ketzerisch gefragt - wird der "Ring" womöglich überschätzt, weil er so wahnwitzig lang ist? Das Thema Macht, Liebe und verkorkste Familien ist auch in kleineren Opern-Dosen erhältlich.
Wagner:
Die Wirklichkeit ist immer das stärkste Argument. Heutzutage wird die Tetralogie auf der kleinsten Bühne gestemmt, trotz der Sorge um die geeigneten Sänger. Und es gibt immer wieder geglückte Produktionen. Der "Ring" hat eine vertrackte Ähnlichkeit mit den Problemen unserer Zeit, und die sind eben nicht in kleinen Dosen zu haben.
Abendblatt:
Wenn Sie Claus Guth einen guten Rat geben sollten, welcher wäre das?
Wagner:
Die allerengste Zusammenarbeit mit seiner Dirigentin. Die allerengste Verzahnung von Szene und Orchester. Während man bei Verdi im Stimmrausch versinken darf, stört bei Wagner schon die kleinste Diskrepanz zwischen beiden.
Abendblatt:
Gibt es für Sie einen Lieblingscharakter im "Ring"?
Wagner:
Das sollten wir Stück für Stück durchgehen. Loge im "Rheingold" ist umwerfend. Gut gespielt, ist er der raffinierte, ironische, zynische Spielleiter des Ganzen. In der "Walküre" ist es der Siegmund, ohne Frage. Der gibt das ewige Leben zugunsten irdischer Liebe auf, das muss man ihm hoch anrechnen. Beim "Siegfried" ist's schon schwieriger - ich denke, da ist es Brünnhilde mit all ihren Schwierigkeiten "Frau" zu werden. Für die "Götterdämmerung" würde ich sie aber eher nicht nehmen; statt ins Feuer zu springen, hätte sie eine große Politikerin werden können!
Abendblatt:
Da wäre der klassische bad guy, Hagen, ein Kandidat.
Wagner:
Sie fragten ja nach Lieblingsgestalten. Ach, nehmen wir die drei Rheintöchter - das sind höchst liebenswerte, verspielte Geschöpfe.
Abendblatt:
Was kann man vom "Ring" fürs Leben lernen, und was nicht?
Wagner:
Aufpassen auf die eigene Triebstruktur; in welchen Netzen, Fängen und Zwängen man sich befindet und sich, auch wenn's dem unmittelbaren Vorteil nicht dient, zugunsten der positiven Strömungen von Liebe und Wärme entscheiden, statt an der allgemeinen Raffgier teilzunehmen.
Abendblatt:
Ein aktuelles Stück.
Wagner:
Weiß Gott.
Abendblatt:
Wenn nur nicht ständig diese putzigen Stabreime wären.
Wagner
Die sind doch fabelhaft! Wagner hat einmal vom "welken Hinterteil der Endreime" gesprochen. Er brauchte dagegen ein Sprachmittel, das dynamische Wirkungen entfaltet, das ihn musikalisch kreativ machte. Was alliteriert, treibt nach vorwärts und findet trotzdem Halt bei denselben Buchstaben.
Abendblatt:
Sind Sie momentan strategisch oder taktisch in der Lage, etwas zum Streit ums Sagen bei den Bayreuther Festspielen zu sagen?
Wagner:
Ich kann nur hoffen, dass der Stiftungsrat die Szene sehr aufmerksam beobachtet und imstande ist, auch gewisse Maßnahmen zu treffen. Was dort hinsichtlich der medialen Verwertung der Bayreuther Aufführungen geschieht, sieht nach einem Zubetonieren der Zukunft für jeden anderen Nachfolger aus, der nicht Katharina Wagner heißt.
Abendblatt:
Sie sind aber nach wie vor entschlossen, Ihren Hut für die Bayreuther Nachfolgeregelung in den Ring zu werfen?
Wagner:
Stimmt. Die Karten kommen bald auf den Tisch.
Abendblatt:
Glauben Sie eigentlich an Zufälle im Leben?
Wagner:
Bedingt.
Abendblatt:
Ich hätte da einen schönen. Sie haben über Karl Kraus promoviert. Der Hamburger SPD-Bürgermeisterkandidat Michael Naumann auch. Über "Satire und politische Realität" in dessen Werk. Jetzt raten Sie mal, wessen Name hier momentan zum Thema nächste Kultursenatorin die Runde macht.
Wagner:
Senatorin? Noch jemand, der über Kraus gearbeitet hat?
Abendblatt:
Na ja. Wir sitzen hier gerade zusammen.
Wagner:
Sie meinen?? Ich bin zweihundertprozentig mit meinem Kunstfest in Weimar beschäftigt. Was nicht heißt, dass man sich nicht Gedanken über vieles machen kann. Ich fühle mich allerdings eher in der Kunst zu Hause als in der Politik.
Abendblatt:
Es gab also keinerlei konkreten Kontakt?
Wagner:
Es gab ein hauchzartes leises Klopfen an der Tür im Vorfeld des Vorfelds. Eine Anfrage war das aber nicht.
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