Achtung, Star-Tenor von links!

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Joachim Mischke

Audienz: Ein Erlebnisbericht von Luciano Pavarottis Pressekonferenz vor seinem Hamburger Open-Air-Konzert.

Hamburg. Wirklich wichtige Menschen erkennt man leicht - an der Inszenierung ihrer Bugwelle. Und wenn ein Phänomen wie der 68-jährige Luciano Pavarotti zwei Tage vor seinem Open-Air-Konzert am Rothenbaum eine als Pressekonferenz getarnte Audienz einberuft, gelten ganz eigene Regeln.

Achter Stock, Hotel Le Royal Meridien. Irgendein Konferenzsaal mit Alsterblick, Lachsbrötchen und gefühlten 13 Sponsoren-Mappen pro Medienvertreter. Während erste Prognosen die Runde machen ("Er kommt von links!"), als warte man auf eine Marienerscheinung, finden die Fotografen heraus, wie viele von ihnen, kunstvoll aufgestapelt, direkt vor dem Podium auf zwei Stühle passen. Einer von ihnen wird, angeblich weil er auf dem Gang ein Wort mit S fallen ließ, zwischenzeitlich von einem Herrn mit entschiedener Stirnfalte aus dem Ensemble entfernt, darf aber nach einigen Minuten Einzelbelehrung wieder vorn mitspielen.

Die Zeit vergeht. Nichts passiert. Außer am Podium, da ist immer was los. In regelmäßigen Abständen kontrolliert jemand, ob einer der Fotografen nicht vielleicht aus purer Bosheit die Namensschilder vertauscht hat. Einer der vielen PR-Damen, die durch den Raum sausen, liegt einiges sehr am Herzen: Schön wären Fragen nicht nur an Pavarotti, sondern auch an die junge Sopranistin und den älteren Herrn, der das Begleitorchester aus Budapest dirigiert. Und außerdem möge man bitte sitzen bleiben, bis der Star-Tenor den Raum wieder verlassen habe. Ein Kameramann erzählt danach mit Respekt und viel Wehmut von einer Pressekonferenz, bei der alle Journalisten einfach vorzeitig gingen.

Das nächste Pavarotti-Bulletin: Er ist noch in der Maske. So viel Zeit muss sein, denkt man sich, der Mann ist keine 67 mehr. Und wartet weiter, während am inneren Ohr die vielen schönen Platten entlangpassieren, mit denen Pavarotti vor mehreren Jahrzehnten Karriere machte.

Mit einer Viertelstunde Verspätung, am Ende einer längeren Entourage: Er kommt. Leibhaftig. "Riesengroß, breit, heilig", brachte ihn das SZ-Magazin auf den Punkt. In Schwarz, mit sehr schwarzen Augenbrauen, sehr glatten Haaren und einem sehr bunten Tuch obenrum. Die Fotografen-Pyramide eskaliert, es blitzlichtgewittert. Was folgt, ist mehr eine knapp 30-minütige Zen-Lektion als ein Informationsaustausch. Pavarotti, entspannt im Hier und Jetzt, erzählt, was ihm so einfällt aus seiner jahrzehntelangen Karriere - und nicht immer unbedingt mit den Fragen zu tun hat. Was soll man auch sagen, wenn jemand fragt, warum Frauen Tenöre mögen, oder was er von seinen deutschen Fans hält. Ach ja, das Programm wird ein Best-of sein, mit Belcanto, Bohème, Tosca. Wunderbare Musik jedenfalls, Details finden sich.

Mittendrin erbarmt sich jemand und erlöst die liebreizend aussehende Sopranistin mit der Frage, wie Pavarotti denn so als Mann sei ("Wunderbar!"), aus ihrem Dauerlächeln. Der sitzt daneben, eine Mischung aus spätem Brando und Elvis' Las-Vegas-Periode, und raunt weiter sein Lebens-Mantra, aus dem Worte wie Sutherland, Karajan, Verdi und Hamburg vage in Erinnerung bleiben. Von rechts wird behutsam ein Eiswürfel in seinem Mineralwasserglas versenkt. Einer der Mitorganisatoren fragt die Kollegin auf dem Nebenstuhl, ob sie nicht vielleicht noch Fragen an die Sopranistin hätte. Danke, nein.

Die Fragesteller überbieten sich unterdessen an Originalität: Was denn mit dem Tenor-Nachwuchs von heute so los sei, oder gar: was der schönste Moment seiner Laufbahn gewesen sei. Er könnte sich jetzt, wie Brando in "Apokalypse Now" über den Kopf streichen und "The horror, the horror . . ." murmeln. Tut er aber nicht. Stattdessen murmelt er auf Bitten einer Journalistin das letzte Mantra-Bisschen auf Italienisch. Weils so gleich viel netter klingt.

Respekt vor so viel Schlagfertigkeit allerdings hat eine Antwort verdient: Auf die Frage, was er mit der eigens in seine Suite eingebauten Küche anstellen werde, nuschelt er zurück: "Keine Ahnung - ich esse nicht." Wenig später reicht ihm sein Hut-Halter des Tages die Kopfbedeckung. Die Erscheinung endet, unter dem Applaus einiger Journalisten, die offenbar den theatralen Aspekt des Erlebten würdigen wollen. Pavarotti has left the building. Und schon nach kurzem Warten vor der verschlossenen Saaltür dürfen auch die Journalisten zurück ins richtige Leben.