Berlin. Drama im Schloss Bellevue: Der DDR-Bürgerrechtler und Grünen-Politiker Werner Schulz starb bei einer Veranstaltung zum Mauerfall.

Ausgerechnet am 9. November, dem Tag des Mauerfalls, den er so gerne als Nationalfeiertag gesehen hätte: Werner Schulz, der frühere DDR-Bürgerrechtler und spätere Grünen-Politiker, ist am Mittwoch bei der Veranstaltung „Wie erinnern wir an den 9. November? Ein Tag zwischen Pogrom und demokratischen Aufbrüchen“ im Berliner Schloss Bellevue zusammengebrochen und verstorben. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, der Arzt ist, versuchte noch, den 72-jährigen Schulz zu reanimieren, das gelang jedoch nicht.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ließ die Veranstaltung vorzeitig beenden. Steinmeier hatte zu der Diskussion eingeladen – 33 Jahre nach dem Mauerfall und 84 Jahre nach dem Tag der nationalsozialistischen Pogrome in Deutschland, bei denen Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen angezündet und Juden getötet wurden.

In Berlin und Deutschland ist die Trauer groß

In Berlin, aber auch in Deutschland ist die Trauer groß. Werner Schulz war am 22. Januar 1950 in Zwickau geboren worden, lebte später aber in Berlin. Er absolvierte zu DDR-Zeiten ein Studium der Lebensmittelchemie und -technologie an der Humboldt-Universität Berlin, schon früh, ab dem Jahr 1968 war er in verschiedenen Oppositionsgruppen der DDR aktiv. Er verweigerte den Wehrdienst und leistete seinen Dienst als Bausoldat in der DDR ab, außerdem setzte er sich 1976 für den ausgebürgerten Wolf Biermann ein.

Anfang der 1980er-Jahre gehörte er zum Pankower Friedenskreis, dem ersten unabhängigen Friedenskreis unter dem Dach der Kirche – der aber natürlich unter Beobachtung der Stasi stand. Schulz war einer der führenden Bürgerrechtler in der DDR – und einer der wenigen, die dann auch politisch Karriere machten. Und wie so zahlreiche ehemalige Bürgerrechtler aneckte in ihrer Partei.

Werner Schulz gehörte von 1990 bis 2005 dem Bundestag an

Nach dem Mauerfall 1989 gehörte Werner Schulz zu den Gründungsmitgliedern des Neuen Forums, das er am Runden Tisch vertrat, schon wenig später wurde er Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. So war es fast folgerichtig, dass er anschließend, nach der Deutschen Einheit im Oktober 1990, Mitglied im Bundestag wurde – er war einer derjenigen, die vom Neuen Forum zu Bündnis 90/Die Grünen wechselte.

Bis zum Oktober 2005 gehörte Schulz dem Bundestag an, es war eine nicht immer konfliktfreie Zeit. So wäre er gerne Fraktionsvorsitzender geworden – Joschka Fischer verhinderte dies und wurde es selbst. Auch während der rot-grünen Regierungszeit unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gab es immer wieder Konflikte, Schulz machte aus seiner Meinung selten einen Hehl.

Auch in Berlin sorgte der Grünen-Politiker für Wirbel

Auch in Berlin sorgte er für Wirbel – bis 1998 hatte Schulz in Sachsen für die Grünen kandidiert und war über die Landesliste Sachsen in den Bundestag eingezogen, doch im Jahr 2002 kandierte er in Berlin. Mit einer beeindruckenden Rede setzte er sich dann überraschend gegen die Mitbewerber Christian Ströbele und Andrea Fischer durch – und kam auf den sicheren Listenplatz zwei hinter Renate Künast.

In Pankow trat er als Direktkandidat an. Weil es mit Swen Schulz (SPD) aus Spandau dann zwei Berliner Abgeordnete mit dem Namen Schulz im Bundestag gab, wurden diese so benannt: Schulz, Spandau und Schulz, Pankow. Eine kleine Geschichte, die beide amüsierte.

In der eigenen Partei isolierte sich der Berliner Politiker

Weil Schulz aber die rot-grüne Bundesregierung heftig kritisierte – etwa 2005, als Bundeskanzler Schröder die Vertrauensfrage im Bundestag stellte –, weil er zwar rhetorisch beeindruckende Reden hielt, aber auch aneckte und beispielsweise der Arbeitsmarktreform nicht zustimmte, isolierte er sich in seiner Partei. Im Jahr 2005 scheiterte er bei den vorgezogenen Neuwahlen mit seinem Versuch, wieder einen sicheren Listenplatz bei den Berliner Grünen zu bekommen.

Schulz verlor erst gegen Wolfgang Wieland, dann auch beim Kampf um Listenplatz vier gegen Özcan Mutlu. Den Direktwahlkreis in Pankow konnte Schulz ebenfalls nicht gewinnen. So zog er sich zunächst aus der Politik zurück – um vier Jahre später überraschend für die Europawahl aufgestellt zu werden. Von 2009 bis 2014 war er Mitglied im Europaparlament, danach kandidierte er nicht mehr.

Für seinen Einsatz für Demokratie, auch für die Opposition in Russland wurde Schulz erst im Juni mit dem Deutschen Nationalpreis geehrt. Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck würdigte ihn damals als meinungsstarken Streiter für demokratische Werte. „Unsere Zeit, geprägt von zum Teil hasserfüllten, faktenleugnenden Debatten und einer bemerkenswerten Anzahl von Wutbürgern, die die liberale Demokratie ablehnen, braucht derartige Vorbilder", sagte Gauck seinerzeit.

Claudia Roth: "Werner Schulz war ein Bürgerrechtler durch und durch"

Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt reagierte betroffen auf den Tod von Werner Schulz. Er sei parteiübergreifend sehr anerkannt gewesen, sagte Göring-Eckardt: „ein Ostdeutscher von Herkunft, ein Gesamtdeutscher im Herzen, ein Europäer mit besonderem Blick auf Osteuropa, ein unermüdlicher Streiter für die Freiheit“.

Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth zeigte sich nach dem Tod des früheren Bundestagsabgeordneten Werner Schulz. „Er konnte wie kein anderer den Totalitarismus des SED-Regimes und den Unterschied zur Demokratie und Rechtsstaatlichkeit begreifbar machen“, so die Grünen-Politikerin. Schulz sei Bürgerrechtler durch und durch gewesen.

Werner Schulz wird fehlen.

Dieser Artikel erschien zuerst bei morgenpost.de.