Ukraine-Hilfe

Geflüchtete: „Durch diesen Ort habe ich wieder ein Leben“

| Lesedauer: 7 Minuten
Sabine Tesche

"I want my kids to be alive"

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Tanja Plotnikova (l.) und ihre Kinder kommen täglich ins Schrødingers. Die Ehrenamtliche Sigrid Erdmann passt auf die Kinder auf, während die Mutter Deutsch lernt.

Tanja Plotnikova (l.) und ihre Kinder kommen täglich ins Schrødingers. Die Ehrenamtliche Sigrid Erdmann passt auf die Kinder auf, während die Mutter Deutsch lernt.

Foto: Sabine Tesche / sabine tesche

Schrødingers City Kids, Begegnungszentrum für ukrainische Geflüchtete, ist ein Erfolg. Viele Mütter genießen unbeschwerte Stunden.

Tanja Plotnikova muss sich für einen Moment sammeln und die Tränen aus den Augen wischen. Die Frage, was ihr das Schrødingers City Kids, das neue Begegnungszentrum für ukrainische Geflüchtete bedeute, hat sie stocken lassen. Sie holt tief Luft und sagt dann in fließendem Englisch: „Dieser wunderbare, warmherzige Ort hier hat mir wieder ein Leben gegeben.“

Seit dem 8. März ist die 29-Jährige in Hamburg, wohnt in einer Wohnung in Othmarschen, die ihr eine Familie zur Verfügung gestellt hat. Sie ist mit ihren drei kleinen Kindern (1, 2, 5 Jahre) aus der Westukraine geflüchtet. Bevor sie ins Schrødingers City Kids kam, habe sie nur in der Wohnung gesessen, erzählt sie – in tiefer Verzweiflung. „Ich habe alles verloren, mein Zuhause, meine Arbeit und ich saß da und habe deswegen geweint und ständig die Nachrichten aus meiner Heimat auf dem Handy angeschaut. Bis mein kleiner Sohn kam, mich umarmte und sagte: ,Mama, du musst damit aufhören‘.“

Überwältigt von der Gastfreundschaft der Hamburger

Über Facebook hat sie vom Schrødingers erfahren, seit der Eröffnung am Ostermontag kommt sie nun jeden Tag in das großzügig gestaltete Kulturzentrum mitten im Schanzenpark. Das Projekt City Kids hat montags bis freitags von 11 bis 16 geöffnet – Hauptkooperationspartner ist dabei der Verein „Hamburger Abendblatt hilft“, der die Finanzierung für mindestens sechs Monate übernimmt. „Ich bin überwältigt von der Gastfreundschaft der Menschen im Schrødingers. Für meine Kinder ist das ein sicherer und wunderschöner Spielplatz. Es gibt so viele Ehrenamtliche, die mir bisher geholfen haben, sei es mit Behördendingen oder um auf meine Kleinen aufzupassen“, sagt Tanja Plotnikova, die in der Ukraine als Englisch- und Ukrainischlehrerin gearbeitet hat.

Wie gerufen kommt da Sigrid Erdmann um die Ecke und nimmt der jungen Mutter die einjährige Tochter ab. „So, jetzt können wir schön im Sand buddeln und deine Mama kann in den Unterricht“, sagt die pensionierte Erzieherin, die seit zwei Wochen als Ehrenamtliche im Schrødingers City Kids arbeitet und sich vorrangig um die Kinder der Geflüchteten kümmert, mit ihnen bastelt und malt.

Im Abendblatt über Projekt gelesen

„Ich habe im Hamburger Abendblatt von dem Projekt gelesen, mich gleich über die Webseite vom City Kids registriert. Es macht Spaß, direkt zu helfen. Das ist so eine schöne, friedliche Atmosphäre hier“, sagt die 57-Jährige und winkt mit Emma auf dem Arm deren beiden Brüdern zu, die auf der Kletterburg des Geländes stehen und den vielen Kindern zuschauen, die mit Fahrgeräten über den Hof sausen.

Ihre Mutter Tanja Plotnikova ist unterdessen in den lichtdurchfluteten Wintergarten des Schrødingers gegangen. Dort unterrichtet Tamare Gabi­dzashvili jeden Tag Deutsch mit dem innovativen Programm von Mamalies, einer gemeinnützigen Sprachschule, die sich auf den Unterricht für Geflüchtete konzentriert. Die 31-Jährige kontrolliert gerade die Hausaufgaben der rund 20 Ukrainerinnen.

Sehr motivierte, gebildete Schülerinnen

„Es ist unfassbar, wie schnell und hochmotiviert die Frauen hier Deutsch lernen, sie wollen unbedingt immer noch mehr Aufgaben bekommen. Und es ist so schön, dass wir hier gemeinsam lachen können“, sagt die Georgierin, die selber Krieg durch Russen in ihrer Heimat erlebt hat. Sie stellt sich an die digitale Tafel und bespricht das Thema Wohnen, bildet Sätze mit Adjektiven wie gemütlich, weiß und hell und mit Substantiven wie Wände, Türen und Decken, erklärt den Unterschied zwischen Warm- und Kaltmiete.

Die Frauen haben dazu ein Mama-lies-Sprachbuch mit vielen Bildern vor sich liegen. Sie arbeiten eifrig und konzen­triert mit – obwohl die Gruppe eigentlich zu groß ist. Im Nebenraum ist jedoch eine ähnlich große Gruppe versammelt, dort findet der Unterricht für Anfänger statt, jeden Tag kommen mehr dazu.

Abendblatt-Verein sponsert weitere Deutschlehrerin

„Wir möchten ab nächster Woche eine weitere Lehrkraft einstellen, um insgesamt 80 statt bisher 40 Deutschplätze täglich anzubieten“, sagt Tamare Gabidzashvili. Diese neue Lehrkraft wird der Abendblatt-Verein für zunächst fünf Monate finanzieren – möglich ist das nur durch Spenden.

„Die Deutschkurse sind der absolute Bringer. Aber auch die Bastelangebote für die Kinder und die Alltagsberatung durch Ehrenamtliche werden gut genutzt“, sagt Nadine Mührer, während sie Getränke im schönen Café des Kulturzentrums ausgibt. Die Leiterin des Schrødingers-Vereins hat gemeinsam mit Vorstand John Schierhorn die Übersicht über das Projekt.

Mittagessen ist kostenfrei für die Ukrainer

Acht Teilzeitkräfte haben sie in den vergangenen zwei Wochen eingestellt, darunter Koordinatoren für die rund 150 Ehrenamtlichen, die sich nach dem Abendblatt-Artikel für die Arbeit im Projekt angemeldet haben, Programmbetreuer und zwei Dolmetscherinnen.

Es gibt viele Aufgaben für die nächste Zeit. So wird es ab nächster Woche musikalische Früherziehung und HipHop-Kurse durch die Stiftung Kultur Palast geben, der Verein „Von Anfang an“ überlegt, eine Beratung für Mütter anzubieten, der Aufbau einer Börse für Jobs, Wohnungen, Kleidung und Möbel ist geplant – berichtet Koordinatorin Helge Marie Hümpel. Sie muss dann aber in die Küche eilen, das Mittagessen mit vorbereiten. Es gibt Hühnersuppe mit Nudeln – das kostenfreie Essen ist eine tägliche Spende der passage gGmbh.

Ein Ort, um Informationen auszutauschen

Sogleich stellt sich Arne Pierau – bis eben noch ehrenamtlicher Berater für allgemeine Fragen, Behördenrecherche und Wohnungssuche – hinter den Tresen und teilt das Essen in tiefen Tellern an die Kinder und ihre Mütter aus. Auch eine kleine Gruppe von alten Ukrainerinnen und Ukrainern nimmt an einem Tisch im Café Platz. „Sie kommen täglich hierher, um für einen Moment den Krieg zu vergessen. Hier können sie mit anderen Ukrainern Informationen austauschen“, sagt Yelyzaveta Kotiuk, die als eine der Dolmetscherinnen viel über die Sorgen und Nöte ihrer Landsleute weiß.

Die 23-Jährige lebt seit vier Jahren in Hamburg. Ihre Mutter konnte sie kürzlich aus der Ukraine herholen, doch die Sorge um ihren Vater, der in der Armee kämpft, treibt ihr Tränen in die Augen. Sosehr sich alle bemühen, übermannen die Besucherinnen hier im Schrødingers manchmal die Gefühle – doch zum Glück ist es ein Ort, an dem sie Menschen treffen, mit denen sie diese teilen können.

Nur durch Spenden kann das Projekt finanziert werden. Jeder Cent hilft: Spenden unter dem Stichwort City Kids an „Hamburger Abendblatt hilft“, Kto.: IBAN: DE25 2005 0550 1280 1446 66. Paypal unter: abendblatt-hilft.de. Infos zum Projekt: citykids.hamburg

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