Es ist eine tückische Krankheit und sie betrifft oft junge Menschen in der Pubertät. Dann, wenn sie loslegen wollen mit Party, Liebesleben und der Freiheit von den Eltern. Christoph Lennart Wagener war 14, als er erfuhr, dass seine ständige Übelkeit, die Bauchschmerzen und Durchfälle von einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung (CED) verursacht wurden: Morbus Crohn. „Bis das rauskam, hatte ich einen Ärzte-Marathon hinter mir. Am Anfang konnte ich die Diagnose nicht akzeptieren, ich habe die Krankheit einfach ausgeblendet“, erzählt der 39-Jährige.
Er spricht offen über seine Krankheit – das ist ungewöhnlich. Viele Betroffene haben Angst, zuzugeben, dass sie nicht immer im Sozial- und Arbeitsleben mithalten können, wenn sie einen Krankheitsschub erleiden. Denn die Darmerkrankungen sind nicht sichtbar wie ein Armbruch oder eine Verletzung, meistens leiden die Erkrankten im Stillen, schamerfüllt. Denn wer redet schon gerne über Toilettengänge, darüber, dass jedes Bier zu einer Explosion im Bauch führt? „Das Leben mit einer CED ist wahnsinnig kraft- und zeitraubend – bei vielen führt das zu psychischen Problemen bis hin zur sozialen Isolation“, erklärt Wagener.
Die Krankheit kann im jedem Lebensalter auftreten
Es gibt zwei unterschiedliche Formen von CED, einmal die Colitis ulcerosa, bei der nur der Dickdarm oft entzündet ist, und Morbus Crohn, wobei der gesamte Magen-Darm-Bereich von der Mundschleimhaut bis zum After betroffen sein kann. „CED kann in jedem Lebensalter auftreten, doch die meisten spüren zwischen 15 und 35 Jahren die ersten Symptome. Leider sind diese oft sehr unspezifisch, und manchmal wird deswegen die Krankheit erst spät diagnostiziert.
Durchfälle und Bauchschmerzen sind häufig, aber auch Gewichtsverlust und Schlappheit, verdickte Gelenke oder Aften im Zahnfleisch können Anzeichen sein“, sagt die Gastroenterologin, Prof. Dr. Tanja Kühbacher im Podcast „Von Mensch zu Mensch“. Sie ist Chefärztin an der medius Klinik Nürtingen, Stuttgart, und war zuvor lange in Hamburg und an der Universität Kiel tätig. Prof. Kühbacher ist eine der renommiertesten Expertinnen im Bereich chronisch entzündlicher Darmerkrankungen.
Rund 320.000 Menschen sind in Deutschland von CED betroffen. Sie gelten als Zivilisationskrankheiten, denn die Zahl der Betroffenen steigt vor allem in industrialisierten Ländern. „Es liegt an unserer Ernährung, mangelnder Bewegung, veränderten Lebensgewohnheiten. Auffallend ist, dass dort, wo stark auf Hygiene geachtet wird, mehr chronisch entzündliche Darmerkrankungen auftreten als bei Menschen vom Bauernhof“, sagt Prof. Kühbacher.
Stress, Lebensveränderungen können eine Rolle spielen
Auch Veranlagung könnte eine Rolle spielen. Es gibt Trigger, die CED auslösen. „Bestimmte Umweltbedingungen, Stress, Lebensveränderungen oder eine Entzündung können dabei eine Rolle spielen“, sagt die Ärztin. Manchmal gibt es nur einen Schub, oft mehrere im Leben, heilbar sind die CED nicht. Christoph Wagener hatte seinen ersten schlimmen Krankheitsschub direkt nach dem Abitur.
Er schaffte es trotz vieler Fehlzeiten, ohne eine Klasse wiederholen zu müssen. „Doch nach dem Abistress hat es mich voll erwischt, ausgerechnet auf der Abi-reise. Ich musste schon am ersten Tag abbrechen und für eine OP ins Krankenhaus“, erinnert sich Wagener, der inzwischen einige Klinikaufenthalte wegen seines Morbus Crohn hinter sich hat.
Die Medikamente zeigten kaum Wirkung, er verlor an Gewicht
Für sein Kommunikationsdesign-Studium zog er nach Hamburg, war ein Jahr in London und startete mit 25 Jahren ins Arbeitsleben. „Ich hatte viele Jobwechsel, weil der Arbeitsalltag oft nur schwer mit meinen Bedürfnissen als CED-Patient zu vereinbaren war“, sagt er. Denn viel Druck und Stress tun seinem Körper nicht gut und die ständige Angst, wegen der Erkrankung gekündigt zu werden, sorgten für neue Schübe. Seine Medikamente zeigten zunehmend weniger Wirkung, er verlor massiv an Gewicht.
Es ging ihm immer schlechter, dennoch sollte das Jahr 2010 ein besonders gutes werden. Denn zum einen nahm er an einer Medikamenten-Studie teil, die bewirkte, dass er seither weitgehend beschwerdefrei ist. Gleichzeitig erhielt er über die Hamburger Stiftung Darmerkrankungen ein Stipendium. Mit bis zu 10.000 Euro fördert die Stiftung junge Frauen und Männer mit CED, die sich dadurch Lebensträume und Berufswünsche erfüllen können.
Prof. Tanja Kühbacher ist dort Vorstandsvorsitzende. Gemeinsam mit einem Kuratorium sucht sie jedes Jahr unter rund 250 Bewerberinnen und Bewerbern zehn junge Menschen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich aus, die einen besonderen Ausbildungswunsch haben.
Stipendium ermöglicht berufliche Freiheit
Sie machen ihren Führerschein, eine Umschulung oder bilden sich bei einem Auslandsjahr weiter. Es sind vor allem Menschen aus dem Bereich Wirtschaft und Psychologie sowie viele Künstler und Musiker, die sich bewerben. „Ich würde mir mehr Bewerber aus dem Handwerk wünschen, doch die trauen sich leider oft nicht“, sagt Kühbacher.
Christoph Wagener konnte dadurch ein berufsbegleitendes „Film & Animations“-Studium finanzieren und sich danach selbstständig machen als Grafikdesigner, Filmemacher und Kreativ-Berater vor allem in der Gesundheitsbranche (www.health-video.de).
Viele talentierte und engagierte Betroffene
Jedes Jahr organisiert die Stiftung neben der feierlichen Stipendienvergabe auch Treffen, bei denen sich neue und alte Stipendiaten ungezwungen austauschen können. „Ich habe durch die Stiftung Darmerkrankungen unfassbar talentierte, engagierte und liebenswerte Menschen mit CED kennenlernen dürfen. Einige von ihnen sind inzwischen zu guten Freunden geworden. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar“, sagt Wagener. Er gibt der Institution etwas zurück, indem er hoch professionelle und gleichzeitig sehr einfühlsame Porträtvideos über Stipendiaten macht.
Mit einem ehemaligen Stipendiaten, dem Pianisten Christoph Spangenberg, hat er jetzt sogar ein gemeinsames Projekt realisiert. Spangenberg begleitet Wageners Dokumentarfilm „Where is now?“ musikalisch. Darin geht der Filmemacher Fragen nach einem achtsamen, selbstbestimmten und gesunden Leben (www.where-is-now.de) auf den Grund. „Mir ist es ein persönliches Anliegen, die Gesellschaft über tabuisierte Krankheiten aufzuklären und mich sowohl für körperliche als auch psychische Gesundheit anderer Menschen einzusetzen und ihnen Zuversicht zu schenken. Ich möchte mit meinen Filmen das Unsichtbare sichtbar machen“, erklärt er. Inzwischen kann er seinem Morbus Crohn etwas Positives abgewinnen, weil er seine Sinne für die wirklich wichtigen Dinge im Leben sensibilisiert hat.
Infos zur Stiftung Darmerkrankung unter: www.stiftung-darmerkrankungen.de
Podcast über chronisch entzündliche Darmerkrankungen unter www.abendblatt.de/podcasts/von-mensch-zu-mensch
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