Hamburg. Es war das erste Aufeinandertreffen der beiden Matadore im Streit um die Primarschule vor Publikum: Prof. Jobst Fiedler, Sprecher der Pro-Initiative "Chancen für alle", und Walter Scheuerl, Sprecher der Reformgegner von "Wir wollen lernen", standen vor rund 150 Gästen des CDU-Wirtschaftsrats im Hotel Steigenberger Rede und Antwort. Klar bekannten sich die Kontrahenten Fiedler und Scheuerl dazu, das Ergebnis des Volksentscheids am 18. Juli zu akzeptieren, bei dem die Hamburger über die Einführung der sechsjährigen Primarschule abstimmen. "Wir akzeptieren den Volksentscheid als verbindlich", sagte Fiedler.
Das Thema dürfe die Stadt nicht dauerhaft spalten. "Die Volksinitiative hört am 18. Juli in jedem Fall auf zu existieren. Unser Auftrag ist dann erfüllt", sagte Scheuerl, der seine Zuhörer mit einer persönlichen Festlegung verblüffte. "Ich habe nicht die Absicht, anschließend in Parteigeschichten einzusteigen", so der Rechtsanwalt. Er werde sich weder FDP als der einzigen demokratischen Anti-Reform-Partei anschließen oder gar selbst eine gründen. Immer wieder gab es Gerüchte, besonders im Fall einer Niederlage beim Volksentscheid könnte es als Reaktion zu einer Parteigründung kommen.
Fiedler versuchte, die überwiegend reformkritisch eingestellten Zuhörer mit dem Hinweis auf den demografischen Wandel zu überzeugen. "Ab 2020 werden wir in Deutschland 20 Prozent weniger junge Menschen haben als heute", so Fiedler. Deswegen müssten Begabungsreserven gerade bei den Kindern aus eher bildungsfernen Familien geweckt werden. "Die frühe Trennung nach Klasse vier, die vor allem nach den Herkunftsmilieus erfolgt, ist da ein echter Nachteil."
Scheuerl ließ das Argument nicht gelten: "Begabungsreserven haben wir bei allen Kindern." Die Lehrer müssten nur die Gelegenheit bekommen, sich um die Kinder zu kümmern. "Die Primarschule würde dazu führen, dass sich Hamburg isoliert. "Familien würden sich überlegen, ob sie von München oder Düsseldorf noch nach Hamburg ziehen oder lieber in den Speckgürtel", gab Scheuerl zu bedenken.
Die von Hamburg-1-Moderator Herbert Schalthoff geleitete Diskussion verlief weit überwiegend sachlich und fair. Dennoch schaffte es Fiedler, die Zuhörer gegen sich aufzubringen. "Ich habe bewusst nicht mit sozialer Gerechtigkeit argumentiert, weil ich glaube, dass das hier nicht die Mehrheit bekommt", sagte Fiedler und erntete laute Buhrufe. Da fühlten sich die Unternehmer, Manager und Freiberufler denn doch kräftig missverstanden. In einer Umfrage des Wirtschaftsrats unter seinen 1299 Mitgliedern sprachen sich 65,1 Prozent für die Einführung der Reform auf der Basis des Paktes aller vier Fraktionen in der Bürgerschaft aus.
Allerdings hatten sich nur 17 Prozent beteiligt. Wenige Stunden zuvor hatte Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) in der Grundschule Heidhorst (Lohbrügge) die erste von 85 Info-Veranstaltungen der Behörde an Schulen absolviert. Dabei zeigte sich, dass viele Eltern der Primarschule skeptisch gegenüberstehen. Es dauerte fast eine Stunde, bis sich die erste Unterstützerin meldete "Ich bin für die Reform. Das ist der richtige Weg", sagte eine Lehrerin. Goetsch sorgte für Verwirrung, weil sie nicht auf die Frage einer Mutter antwortete, ob im Falle eines Neins zur Primarschule beim Volksentscheid das Büchergeld wieder eingeführt und die Absenkung der Klassenfrequenzen zurückgenommen würde. Erst im Nachhinein bekannte sie sich dazu, dass diese mit der Opposition vereinbarten Verbesserungen auch Bestand haben werden, falls die Primarschule scheitert.
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