Lustspielhaus

Jochen Malmsheimer zeigt episches Kabarett aus dem Ruhrpott

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Stefan Reckziegel
Jochen Malmsheimer steht (und sitzt) auf der Bühne für Sprachwitz und Wortgewalt.

Jochen Malmsheimer steht (und sitzt) auf der Bühne für Sprachwitz und Wortgewalt.

Foto: Klaus Pollkläsener / FUNKE Stock/FFS

Der populäre Kabarettist („Neues aus der Anstalt“) glänzt bei der Hamburg-Premiere seines neuen Programms mit Wortgewalt.

Hamburg. Licht aus, Spot an! Dieser legendäre Satz des ZDF-„disco“-Moderators Ilja Richter aus den 70er-Jahren kommt einem in den Sinn, als Jochen Malmsheimer die Bühne im dunklen Saal von Alma Hoppes Lustspielhaus betritt, sich an den Tisch setzt und das Leselämpchen anknipst, seine Kladde aufklappt und forsch loslegt

„Liebes Tagebuch“, liest er. „Oder sollte ich sagen: Herr Tagebuch?“, fragt sich Malmsheimer dann und räsoniert sogleich über den ihm so verhassten Montag. Erst seit 1976 gelte der statt des Sonntags in Deutschland als der erste Tag der Woche. Für den Kabarettisten an diesem Dienstagabend nicht nur ein Graus, sondern Anlass, sich an jenes Jahr zu erinnern, in dem Chinas KP-Führer Mao und die westdeutsche Terroristin Ulrike Meinhof starben, sich hinter Wolf Biermann die Türen zur DDR schlossen und deren Staats- und Parteichef Erich Honecker, „dessen Stimme weder fürs Sprechen noch fürs Singen taugte“, ihn nicht annähernd ersetzen konnte. Außerdem spielte der ja gar nicht Gitarre, so Malmsheimer.

Kabarett Hamburg: Malmsheimer präsentiert Episches im Lustspielhaus

Die ersten Lacher und Pruster sind Malmsheimer, Jahrgang 1961, damit gewiss. So politisch wie in seinem Prolog ist der vielfach ausgezeichnete Satiriker indes eher selten. Das Kabarett-Schwergewicht, einem größeren Publikum als Hausmeister in der ZDF-Sendung „Neues aus der Anstalt“ (2007–2013) bekannt, steht hierzulande wie kaum ein anderer für das epische Kabarett. Diese Kunstform hat sich Jochen Malmsheimer in 23 Jahren als Solist erarbeitet, sie prägt auch sein neues Programm „Statt wesentlich die Welt bewegt, hab ich wohl nur das Meer gepflügt“.

Und Malmsheimer beschreibt nichts, von dem er selbst nichts versteht. Das gilt natürlich auch bei der Hamburg-Premiere seines jüngsten Werks, dessen Titel angeblich auf Simon Bolivar zurückgehe, der ja, wenn man dem Internet glauben schenkte, lange mit Jean Paul Sartre zusammenlebte. Oder hieß seine Partnerin womöglich doch Simone Signoret? „Oder Sartre lebte allein, indes ständig im Boudoir. Vielleicht lebte er aber mit niemandem zusammen, außer vielleicht mit einem Beaujolais und einigen Jetons.“

Theater Hamburg: Malmsheimer schildert Erfahrungen als verunglückter E-Bike-Fahrer

Malmsheimers Programme tragen das Absurde meist schon im Titel, etwa vor 15 Jahren „Flieg Fisch lies und gesunde! oder Glück, wo ist dein Stachel?“ oder zuletzt „Dogensuppe Herzogin – ein Austopf mit Einlage“. Dank seiner Stimm- und Wortgewalt gelingt es ihm auch an diesem Abend, aus Profanem erstaunlich Unterhaltsames zu machen. Der Sprachakrobat aus dem Ruhrpott weiß jedoch: „Wenn man Scheiße lange rührt, wird am Ende noch lange nicht Marzipan daraus.“

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Vielmehr schmückt der 62-Jährige, der in den Corona-Jahren mit seinem Bochumer Kumpel Frank Goosen das Duo Tresenlesen hat wiederaufleben lassen, außer einigen Absonderlichkeiten seine Erfahrungen mit „dem Radfahren im 21. Jahrhundert“ vortrefflich und genüsslich aus. Sollte dieses primär dazu dienen, seinen Bluthochdruck zu lindern, schildert Malmsheimer seine Erfahrungen als verunglückter E-Bike-Fahrer nun als wunderbar komische Krankenhaus-Geschichte. Die vielen absurden Verkleidungen eines modernen Pedaleurs sind da nur das Warm-up.

Scharfsicht zeigt der Spaßvogel, indem er zum Ende des mit nicht mal zwei Stunden (inklusive Pause) recht knapp bemessenen Abends noch die Kurve zum Theater kriegt und auf die Seltenheit von Kunst verweist. Ohne ihre Bedeutung zu überhöhen. Wichtig sei, sich auch auf das Unbekannte, das Neue einzulassen und sich nicht bloß unterhalten zu lassen. Ein Plädoyer für die Kleinkunst im längst nicht ausverkauften Saal. Dabei weiß man bei Malmsheimer, was man an ihm hat. Zeitlos Humorvolles, eben nicht in epischer Länge.

„Statt wesentlich die Welt bewegt, hab ich wohl nur das Meer gepflügt“ wieder Do 28./Fr 29.9., jew. 20.00, Lustspielhaus, Ludolfstr. 53, Karten zu 30,- (erm. 20,-) bis 37,- unter T. 55 56 55 56; www.almahoppe.de