Wahlen Hamburg

Verein will Prozenthürde abschaffen – und droht mit Klage

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Auszählung der Stimmen zur Bezirksversammlungswahl 2019. In den Bezirken gilt eine Dreiprozenthürde. Diese will der Verein „Mehr Demokratie“ abschaffen. Auch bei der Bürgerschaftswahl soll es Änderungen geben.

Auszählung der Stimmen zur Bezirksversammlungswahl 2019. In den Bezirken gilt eine Dreiprozenthürde. Diese will der Verein „Mehr Demokratie“ abschaffen. Auch bei der Bürgerschaftswahl soll es Änderungen geben.

Foto: Roland Magunia / Roland Magunia / Funke Foto Services

Bei Bezirkswahlen soll die Sperrklausel fallen. Auch bei Bürgerschaftswahl Änderung geplant. Wie der Verein sein Ziel durchsetzen will.

Hamburg.  Der Verein „Mehr Demokratie“ hat die Abschaffung der derzeit gültigen Dreiprozenthürde bei den Bezirksversammlungswahlen in Hamburg gefordert. Die Fünfprozenthürde bei der Bürgerschaftswahl soll nach dem Vorschlag des Vereins von aktuell fünf auf drei Prozent sinken. Nach den derzeit gültigen Regelungen sind in den Bezirksversammlungen nur die Parteien vertreten, die bei den Wahlen drei Prozent der Stimmen auf der Wahlliste bekommen – ausgenommen sind Direktmandate. Bei der Bürgerschaftswahl muss eine Partei hier fünf Prozent der Stimmen erreichen.

Die Sperrklausel von fünf Prozent habe bei der Bürgerschaftswahl 2020 dazu geführt, „dass 449.217 Stimmen nicht repräsentiert werden“, heißt es in einem kürzlich von „Mehr Demokratie“ verabschiedeten Positionspapier. „Dieses waren 11,05 Prozent der abgegebenen 4.062.376 Stimmen.“ Die hohe Stimmenzahl ergibt sich durch das Hamburger Wahlrecht mit zehn Stimmen pro Wählerin oder Wähler.

Wahlen Hamburg: Durch Sperrklausel Hunderttausende Stimmen unberücksichtigt

Die Regelung zur Sperrklausel „sollte überarbeitet werden, um die Zahl der wirkungslosen Stimmen zu reduzieren und die Repräsentation der gesellschaftlichen Vielfalt in der Bürgerschaft zu verbessern“, heißt es in dem Papier des Vereins. Eine Absenkung der Sperrklausel bei der Bürgerschaftswahl auf drei Prozent sei „aus Sicht von Mehr Demokratie Hamburg unproblematisch, da dies die Anzahl der Fraktionen in der aktuellen Hamburgischen Bürgerschaft nur um eine Fraktion, die der FDP, erhöht hätte“. Hätte bei der Bürgerschaftswahl 2020 bereits eine Dreiprozenthürde (statt der Fünfprozenthürde) gegolten, „wären nur 247.158 Stimmen nicht berücksichtigt worden“, so Mehr Demokratie.

Bei den am 9. Juni 2024 anstehenden Wahlen zu den sieben Bezirksversammlungen soll die aktuelle Sperrklausel von drei Prozent nach den Vorstellungen von „Mehr Demokratie“ vollständig entfallen. Argument des Vereins: „Die Bezirksversammlungen sind nur weisungsgebundene Verwaltungsausschüsse, die ebenso wie die Bezirke den Weisungen des Hamburger Senats unterstehen. Damit entfällt jegliche Legitimation für eine wie auch immer geartete Sperrklausel für die ,Wahlen’ zu den Hamburger Bezirksversammlungen.“

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts könnte Hamburger Wahlrecht beeinflussen

Vereinsvorstand Bernd Kroll betont dabei die aus seiner Sicht bestehenden Parallelen zu den am selben Tag stattfindenden Europawahlen. 2014 habe das Bundesverfassungsgericht hier die Sperrklausel im Sinne der Chancengleichheit der Parteien gekippt – auch mit Verweis darauf, dass das Europaparlament nicht die Macht eines echten Parlamentes habe, da diese vor allem bei der EU-Kommission liege. Weil es also zunächst keine Sperrklausel gab, sitzen im Europaparlament auch Vertreter von Kleinstparteien wie etwa „Die Partei“.

EU-weit ist nun aber ein gemeinsamer Anlauf der Mitgliedstaaten unternommen worden, eine Sperrklausel einzuführen. Diese soll zwischen zwei und fünf Prozent liegen. Der Bundestag hat den entsprechenden Beschluss in diesem Sommer gefasst – ohne bereits eine genaue Höhe der Sperrklausel festzulegen. Dagegen gibt es aber Beschwerden beim Bundesverfassungsgericht. Deswegen habe der Bundespräsident dem Ganzen noch nicht zugestimmt, so Kroll. Sollte das Bundesverfassungsgericht die Sperrklausel erneut kippen, würde sich „Mehr Demokratie“ gestärkt in der Forderung sehen, diese auch für die Wahlen zu den Bezirksversammlungen abzuschaffen.

Bürgerschaft Hamburg: SPD und Grüne lehnen Vorstoß des Vereins ab

Vonseiten der Bürgerschaft können Kroll und seine Mitstreiter derzeit nicht mit Unterstützung für ihr Vorhaben rechnen – jedenfalls nicht bei den Regierungsfraktionen. „Die Forderungen haben wir mit Interesse zur Kenntnis genommen. Aktuell sehen wir keinen Anlass, von der auch vom Hamburgischen Verfassungsgericht bestätigten Praxis abzuweichen“, sagte SPD-Verfassungspolitiker Olaf Steinbiß dem Abendblatt. Auch Grünen-Justizpolitikerin Lena Zagst sagte: „Aktuell gibt es aus unserer Sicht keinen Anlass für eine grundsätzliche Änderung der bestehenden Sperrklauseln, die eine wichtige Funktion in unserem Wahlsystem einnehmen.“

Damit gibt sich „Mehr Demokratie“ aber wohl nicht zufrieden. Der Verein, der in Hamburg bereits die Einführung des Zehn-Stimmen-Wahlrechts erreichte, hat bereits einen Plan, wie er die Abschaffung der Sperrklausel für die Bezirksversammlungswahlen durchsetzen könnte. Nach der Wahl im Juni 2024 könnte man Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahlen einlegen, so Vorstand Bernd Kroll. Weist die Bürgerschaft diesen zurück, würde der Verein „Wahlprüfungsbeschwerde“ beim Hamburgischen Verfassungsgericht einreichen.

Wahlen Hamburg: So will „Mehr Demokratie“ seine Forderung durchsetzen

Dort würde die bereits einmal bestätigte Rechtmäßigkeit der Sperrklausel dann erneut verhandelt – und zwar mit neuen Argumenten, wie der Vereinsvorstand betont. Ein mögliches Ergebnis, laut Kroll: Die Dreiprozenthürde könnte für die bereits gelaufene Wahl nachträglich abgeschafft und nicht mehr berücksichtigt werden. Mandate würden dann möglicherweise nachträglich umverteilt, so Kroll. Denkbar sei aber auch, dass das Verfassungsgericht sogar eine Wiederholung der Wahl anordne.