Justizvollzugsanstalten

Jede dritte Zelle in Hamburg steht leer

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Lars-Marten Nagel

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Hamburg hat in seinen Gefängnissen die niedrigste Belegungsquote aller Bundesländer. Einsparpotenzial von 6,5 Millionen Euro.

Hamburg. Jeden Morgen das gleiche Ritual: Die diensthabenden Beamten in Deutschlands Gefängnissen öffnen eine Zellentür nach der anderen und prüfen, ob die Häftlinge nach der Nacht wohlauf sind. "Lebendkontrolle" heißt dieser Routinerundgang. In den Hamburger Justizvollzugsanstalten (JVA) geht dieser Check besonders schnell. Denn jede dritte Zelle ist leer. Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen, dass die Gefängnisse in der Hansestadt nur zu 68,6 Prozent ausgelastet sind. Damit ist die Belegungsquote in Hamburg so niedrig wie in keinem anderen Bundesland.

Auf 2548 Haftplätze kommen in Hamburg nur 1749 Häftlinge. 800 Plätze sind den Zahlen vom November 2010 zufolge unbelegt. Dabei werden noch nicht einmal alle Gefängnisplätze berücksichtigt. Einige Zellen sind im Umbau und fallen aus der Statistik.

Jahrelang galt im deutschen Justizvollzug die Überbelegung als großes Problem. Das ist Vergangenheit. In Hamburg schlägt der gegenläufige Trend voll durch. "Die fehlende Auslastung Hamburger Gefängnisse ist ein krasser Fall von Fehlplanung, geradezu ein Schildbürgerstreich", sagt Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. "Seit Jahren war klar, dass die Anzahl der Häftlinge abnehmen würde, denn die Vergreisung der Gesellschaft fördert die innere Sicherheit." Er meint damit den Rückgang der Kriminalität. Die aktuelle Statistik zeigt: Seit Erfassen der Kriminalitätszahlen war die Hansestadt nie so sicher wie heute. "Es ist nicht damit zu rechnen, dass Hamburg die Überkapazitäten in den Gefängnissen in den nächsten Jahren brauchen wird", sagt Pfeiffer.

Zum Vergleich: Im bundesweiten Schnitt liegt die Belegungsquote bei 89 Prozent. In den anderen Stadtstaaten ist die Quote höher. In Berlin liegt sie bei 90,1 Prozent und in Bremen bei 77 Prozent. Das Bundesland mit der höchsten Quote ist Bayern mit einer Belegung von 101 Prozent. Als optimal gelten im Justizvollzug 90 Prozent. Damit sind Gefängnisse ausgelastet, haben aber noch Reserven.

Fragt man nach der Ursache für die deutliche Unterbelegung der Hamburger Gefängnisse, verweisen die meisten Bürgerschaftsparteien auf den ehemaligen CDU-Justizsenator Roger Kusch. Der habe in Billwerder einen überdimensionierten Prestigeknast errichten lassen. 32 Millionen Euro kostete allein der zweite, überflüssige Bauabschnitt, klagen SPD und GAL.

"Nach dem Bau traute man sich vier Jahre lang nicht, einzugestehen, dass man einen Fehler gemacht hat", sagt der ehemalige GAL-Justizsenator Till Steffen. Drastischer formuliert es Andreas Dressel, SPD-Sicherheitsexperte: "Kusch hat uns ein Millionengrab hinterlassen." Die rechtspolitische Sprecherin der CDU, Viviane Spethmann, verteidigt den Bau der JVA Billwerder weiterhin: "Aus der Perspektive von damals war der Bau richtig. Wir hatten eine Überbelegung im geschlossenen Vollzug." Damals hätten verlässliche Szenarien und Prognosen gefehlt, sagt Wiebke Aust vom Hamburger Rechnungshof. In ihrem Jahresbericht 2009 warnten die Rechnungsprüfer dann aber: "Trotz der seit 2003 bis heute um rund 35 Prozent gesunkenen Gefangenenzahlen hat die Justizbehörde hierauf weder mit einer Reduzierung der Haftplätze noch mit einem Abbau von Stellen reagiert."

Allein mit dem Abbau von Stellen im Allgemeinen Vollzugsdienst könnte die Stadt laut Rechnungshof jedes Jahr rund 6,5 Millionen Euro einsparen. Auf Basis einer Analyse der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden reagierte der schwarz-grüne Senat. Laut Till Steffen gibt es seitdem im Justizvollzug einen Einstellungsstopp, und die Ausbildung neuer Beamter sei bis 2014 ausgesetzt. Zuletzt peilte die Justizbehörde 2600 Haftplätze an, was allerdings immer noch deutlich mehr Plätze wären als die aktuelle Belegung.

Weitere Schritte müssten folgen. CDU und GAL würden gerne an der von ihnen beschlossenen Schließung der JVA Glasmoor festhalten. Dort könnten 212 Plätze eingespart werden. Im Gegenzug soll der Offene Vollzug in die JVA Fuhlsbüttel ziehen, wo 300 neue Plätze geschaffen würden. "Das wären knapp 100 Haftplätze zusätzlich, dafür könnte eine JVA dichtmachen", sagt der ehemalige grüne Justizsenator Steffen.

Die SPD hingegen will den Glasmoor-Beschluss prüfen, sagt Andreas Dressel. "Wir wollen erst mit den Bediensteten reden und mit ihnen gemeinsam ein Modell entwickeln. Ihnen liegt Glasmoor sehr am Herzen." Auch beruhe die Kostenplanung bislang auf "sehr allgemeinen Schätzungen".

Den Namen eines anderen Schließungskandidaten bringt Steffen ins Gespräch. "Mittelfristig müssten wir den Jugendvollzug in der JVA Hahnöfersand überdenken. Dort gibt es viel Leerstand und großen Sanierungsbedarf." Auch sei die Verkehrsanbindung gerade für junge Gefangene, die Freigang haben und von ihren Eltern besucht werden, ungünstig.

Die Unterbelegung von Gefängnissen habe aber auch Vorteile, sagt der Hamburger Kriminologe Bernhard Villmow. "Ich beklage die Situation mit dem Leerstand nicht. Im Gegenteil. Der Justizvollzug hat nun Gelegenheit, sich intensiver um die Gefangenen zu kümmern." Bislang seien die extrem hohen Rückfallquoten von Ex-Häftlingen häufig mit dem Überfüllungsproblem begründet worden, sagt Villmow.