Buchholz/Hiroshima. Die japanische Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt Hiroshima steht regelmäßig Anfang August im Mittelpunkt der Weltöffentlichkeit. Am Donnerstag jährte sich zum 75. Mal der Abwurf der ersten Atombombe durch US-amerikanische Bomber. Die Bilder vom Glockenschlag um 8.15 Uhr Ortszeit, dem Zeitpunkt der Detonation, und der Gedenkfeier vor dem charakteristischen Kenotaph gingen auch am 6. August dieses Jahres durch die Welt.
Philipp Freitag erlebte die Gedenkstunde persönlich
Einer, der die eindrückliche und bewegende Atmosphäre im Peace Memorial Park von Hiroshima aus persönlichem Erleben kennt, ist Philipp Freitag. Der ehemalige Motorradrennfahrer aus Buchholz widmet sich seit dem Karriereende 2018 dem Studium der Geschichte mit Nebenfach Japanologie an der Universität Hamburg. Seit Herbst vergangenen Jahres und noch bis Ende August absolviert der 23-Jährige zwei Auslandssemester in Hiroshima. Mit seiner Studierendengruppe besuchte er auch das Kinder-Friedensmonument und die Atombombenkuppel. „Im Friedenspark hatten wir sogar das Privileg, dem Vortrag einer Überlebenden zuzuhören“, so Freitag. Im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt erzählt er, was er noch alles in Japan erlebt und gesehen hat.
Kurz zurück aufs Motorrad: dort saß Philipp Freitag bereits im zarten Alter von fünf Jahren und nahm bald an Motocross-Rennen teil. Im Laufe der Jahre durchlief er mehrere Nachwuchsklassen und startete zuletzt im ADAC Northern Europe Cup auf einer 250 Kubikzentimeter starken Honda NSF 250R. 2016 und 2017 belegte er jeweils den dritten Platz der Gesamtwertung und feierte als Höhepunkt zwei Siege in Donington Park in England.
WM-Saison war nicht finanzierbar
Als der ADAC die Rennserie Anfang 2018 überraschend einstellte, blieb Philipp Freitag nur die Flucht nach vorn. Der angestrebte Aufstieg in die Moto3-Junioren-Weltmeisterschaft war trotz der Unterstützung von Speedway-Legende Egon Müller und eines Managers aus der Schweiz aber nicht zu finanzieren – für eine Saison wären 160.000 Euro erforderlich gewesen.
Der sympathische Buchholzer zog konsequent einen Schlussstrich. Nach dem Abitur hatte er im Oktober 2017 an der Uni Hamburg begonnen, Geschichte und Japanologie zu studieren. „Mir war klar, dass es im Motorradrennsport jedes Jahr schwieriger wird und dass ich mich nicht allein auf die Karriere fokussieren sollte“, sagte Philipp Freitag. „Der richtige Umgang mit dem Ende meines Traumes war für mich, neue Träume zu verfolgen, mich neuen Dingen zu widmen. Dazu gehörte, dass ich Träume verwirklichen wollte, die erst durch mein Karriereende möglich wurden.“ An erster Stelle stand das Studium in Japan. Die Vorliebe für das Land der aufgehenden Sonne kam aus zwei Richtungen. Schon als Kind interessierte sich Freitag für die Geschichte und vor allem für Samurai. Das wurde noch verstärkt, als ihm seine Schwester japanische Filme und Serien zeigte.
Zwei Semester im Austauschprogramm
Philipp bewarb sich für einen zweisemestrigen Austausch, darüber hinaus für ein Stipendium der Universität Hamburg und eines der japanischen Regierung – jeweils mit Erfolg, wobei seine guten Noten den Ausschlag gegeben haben dürften. Hiroshima ist eine von vier Partneruniversitäten des Asien-Afrika-Instituts an der Uni Hamburg. „Hiroshima faszinierte mich wegen der historischen Bedeutung der Stadt, zum anderen wegen der Schönheit der Region. Ich wollte Natur sehen und vor allem das ländliche Japan kennenlernen“, sagte Philipp Freitag.
Am 25. September 2019 zog er in ein Studentenwohnheim nahe der Universität ein. Der Großteil der Veranstaltungen waren seitdem Sprachkurse. „Aber ich nehme auch an Vorlesungen und Seminaren des Fachbereichs für japanische Geschichte teil“, sagt der 23-Jährige, der sich dem Aikido-Club der Universität anschloss. „Ich wollte mich fit halten und die Chance nutzen, japanischen Kampfsport in Japan zu lernen. Bis zum Ende des ersten Semesters haben wir fünf bis sechs Mal pro Woche trainiert. Ich konnte Freunde finden, mein Japanisch verbessern, viel erleben und auch im Aikido ein gewisses Grundniveau erreichen.“ Auf den zweiten Blick erkennt Philipp Freitag Parallelen zwischen Rennsport und Kampfkunst: „In beiden Sportarten sind Beweglichkeit, Lockerheit und Stabilität des Körpers sehr wichtig.“
Ausführliche Reise durch das Land
Im Februar und März reiste er durch das Land, besichtigte unter anderem die Insel Hokkaido, Kyoto, Tokyo, Osaka und Kobe. „Als ich nach Hiroshima zurückkam, hatte sich die Situation durch die Ausbreitung des Coronavirus stark verändert. Im zweiten Semester hatten wir ausschließlich Online-Unterricht. Clubaktivitäten sind prinzipiell verboten.“ Viele Austauschstudenten mussten nach Hause fliegen, weil ihre Universitäten die Austauschprogramme beendeten, Philipp Freitag durfte bleiben. „Seit Ende März beschränkt sich das Leben größtenteils auf die Teilnahme am Online-Unterricht und das Treffen mit Freunden in kleinen Gruppen zum Essen oder für Freizeitaktivitäten“, erzählt der Student. Masken und Desinfektionsmittel waren von Februar bis Juni ausverkauft. Mittlerweile würden Masken überall getragen, auch wenn es keine Pflicht gibt, Mindestabstände seien auf dem Boden markiert und Gruppen in Restaurants würden häufig durch Trennwände separiert, so Freitag.
Anschluss im Aikido-Club
Trotz aller Einschränkungen konnte der Buchholzer viel erleben und lernen. „Mit dem Aikido-Club habe ich an mehreren Veranstaltungen teilgenommen und sehr viel über japanische Kultur gelernt.“ Highlight war im Januar die Teilnahme an einer shintoistischen Reinigungszeremonie (Misogi). „Dafür fuhren wir nach Iwakuni in der Nachbarpräfektur Yamaguchi und tauchten um 6 Uhr morgens für mehrere Minuten in den eiskalten Nishiki-Fluss. Das war eine einzigartige Erfahrung. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob ich das mehr als einmal im Leben machen will“, sagte Philipp Freitag.
Ansonsten würde der Buchholzer jederzeit wieder nach Japan reisen. Zum Wintersemester 2020/2021 kehrt er an die Universität Hamburg zurück und macht im Sommer 2021 seinen Bachelor, der Master soll folgen. „Mittel- bis langfristig kann ich mir gut vorstellen, in einem Unternehmen mit Japan-Bezug zu arbeiten. Vielleicht sogar in einem System, bei dem ich in beiden Ländern tätig sein kann.“
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