Harburg. Das Phoenix-Viertel – ein Gitternetz aus tristen Häuserschluchten? Quatsch! In vielen Hinterhöfen finden sich versteckte Paradiese. Und auch in und an den Straßen gibt es einige größere und viele kleine grüne Inseln. Diese grünen Inseln sollen jetzt bunt werden. „Harburg blüht“ heißt das Projekt, das der Naturschutzbund (Nabu) und das Harburger Nachhaltigkeitsnetzwerk Harburg21 im Viertel organisieren. Angestoßen hat diese Idee das Löwenhaus. Die Löwenhauskinder machten auch fleißig mit, als es am Mittwoch an die Anzuchttöpfe ging.
Im Löwenhaus, einer Einrichtung für Mädchen und Jungs aus benachteiligten Familien, sind zwei Tische zusammengeschoben und mit einer Plastikplane abgedeckt. Auf der Plane liegen schon reichlich Erdkrümel, ein paar Schaufeln und einige transparente Plastiktüten. Außerdem stehen dort zwei Eimer mit Muttererde, eine Box mit Samentütchen und ein Stapel Anzuchttöpfchen, immer acht Stück zusammenhängend. Dina löst so einen Achterblock vom Stapel und beginnt, die acht Kammern mit Erde zu füllen. „Nimm ruhig etwas mehr“, sagt Bernd Hönig vom Nabu. Der pensionierte Pädagoge ist zusammen mit der Bildungswissenschaftlerin Donata Predic ins Haus gekommen, um mit dem Ansäen der Blumen den Startschuss für das Projekt zu geben.
Im Löwenhaus müssen die Gäste damit klarkommen, dass immer viel gleichzeitig los ist
Geplant war, den Pflanztisch vor der Tür aufzubauen, aber da ist gerade viel Wetter. Drinnen müssen die beiden Anleiter jetzt damit klarkommen, dass im Löwenhaus immer viel gleichzeitig los ist: Parallel läuft der Kochwettbewerb der Kinder, und die Tische sind schon eingedeckt, einige Kids haben sich zum Quatschen zurückgezogen. Viele wechseln auch zwischen den Aktivitäten hin und her. Die Löwenhaus-Mitarbeiter und die Kinder sind das gewohnt, Hönig und Predic von der Hektik ein wenig beeindruckt. Donata Predic gibt dem kleinen Aryan einige Samen in eine Schale: „Aus diesen kleinen Perlen wächst Mädchenauge“, sagt sie zu Aryan, „das sind schöne gelbe Blumen.“ Aryan nickt, drückt die Samen an wie ein Profi und bedeckt sie mit noch etwas Erde.
Wildblumen sind für das Projekt aus verschiedenen Gründen ausgewählt worden: Unter anderem, weil die Bedingungen im Viertel auch für Pflanzen rau sind: Manchmal landet Müll auf den kleinen Grüninseln, dann wieder parkt jemand ein Fahrrad oder einen Roller dort, oder gar sein ganzes Auto. Was hier wachsen soll, muss widerstandsfähig sein. Außerdem sind Wildblumen auch ideal für wilde Insekten, die in Städten generell zu wenig Lebensraum haben und die auch auf dem Land mittlerweile in Bedrängnis geraten. Ein weiterer Kooperationspartner des Projekts ist deshalb die Wildtierstiftung, die drei Flächen auf der Nordseite des Platzes bepflanzen und betreuen will.
Digital-Kompetenz? Genauso wichtig wie das Thema Nachhaltigkeit
Zwar liegt die Koordination von „Harburg blüht“ beim Netzwerk Harburg21, aber die Idee kam aus dem Löwenhaus: „Wir haben uns bereits vor Jahren neben dem Thema Digitalkompetenzen das Thema Nachhaltigkeits-Vermittlung als Ziel gesetzt“, sagt Löwenhaus-Leiterin Houda Mbarek, „weil ein achtsamer Umgang mit der eigenen Umgebung dazu führt, sie auch wertzuschätzen und sich darin wohler zu fühlen. Die Kinder identifizieren sich mit dem Viertel und sollen dabei auch ein gutes Gefühl haben. In der Corona-Zeit hatten wir dann aber die Digitalkompetenzen schnell und stark betonen müssen. Jetzt fangen wir wieder an.“
Vorschusslorbeeren hat „Harburg blüht“ schon erhalten: Der Harburger Nachhaltigkeitspreis 2022 ging dafür an das Löwenhaus. Houda Mbarek und Donata Predic haben auch schon viele mögliche Kooperationspartner angesprochen und einige ins Boot geholt. So kann „Harburg blüht“ nicht nur die grünen Inseln bunter machen, sondern trägt auch zum sozialen Zusammenhalt im Viertel bei, indem es Leute zueinander bringt. „Dies könnte eine Blaupause für andere Quartiere sein“, sagt Houda Mbarek. „Tatsächlich haben wir dazu schon Anfragen aus anderen Bezirken erhalten,“
Dina und Aryan tüten ihre Pflanztöpchen ein und stellen sie auf die Fensterbank. Die transparenten Plastikbeutel – abbaubar, natürlich – dienen als Mikro-Gewächshaus. In einigen Wochen werden die ersten grünen Schösslinge kommen. Dann geht es heraus ins Beet. Und im Sommer heißt es: „Harburg blüht!“
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