Sinstorf. Solche Bilder sind uns eigentlich nur aus amerikanischen Highschool-Serien bekannt: Schüler, die ihre Bücher in einem Spind auf dem Flur verstauen und nach den Pausen in Karawanen von Fach zu Fach in verschiedene Klassenräume ziehen. Am Immanuel-Kant-Gymnasium (IKG) in Sinstorf werden Szenen wie diese allerdings bald Wirklichkeit werden. Als erste Schule im Hamburger Süden stellt das IKG, an dem 55 Lehrer derzeit 590 Schüler unterrichten, zum kommenden Schuljahr auf das sogenannte Lernraumkonzept um.
Das bedeutet, dass nicht mehr die Schüler in festen Klassenräumen untergebracht sind und die Lehrer zu ihnen kommen, sondern umgekehrt. In 26 Lernräumen werden sich jetzt die Lehrer ihrem Unterrichtsfach entsprechend einrichten und die Schüler zu sich kommen lassen. Lehrer mit Teilzeitstellen nutzen die Räume ihrer Kollegen mit.
Schulleiterin Dagmar Siegmann kennt das Konzept bereits vom Walddörfer-Gymnasium in Hamburg, wo sie zuvor stellvertretende Schulleiterin gewesen war, und ist von seinem Erfolg überzeugt. "Andere Hamburger Schulen haben es ebenfalls schon umgesetzt", sagt sie. Dass jetzt auch das IKG nachzieht, ist das Ergebnis einer mehr als einjährigen Planungszeit, in der Lehrer, Eltern und Schüler in einer eigens eingerichteten Arbeitsgemeinschaft gemeinsam am Konzept gefeilt haben.
Es gab beispielsweise Hospitationen an anderen Schulen, um vor allem die Sorge der Eltern zu zerstreuen, dass ihre Kinder keinen festen Anlaufpunkt mehr haben und sich in der Schule nicht mehr wohlfühlen. Dieses Argument versuchte die Schulleitung unter anderem damit zu entkräften, dass die jetzigen Klassenräume ja auch alles andere als wirklich gemütlich seien und der Lehrer es den Schülern durchaus erlauben könne, den Lernraum etwa bei schlechtem Wetter als Aufenthaltsraum zu nutzen.
Herausgekommen ist am Ende der Beratungen ein Konzept, das bei der jüngsten Schulkonferenz mit einer Mehrheit von elf zu drei Stimmen beschlossen wurde. Dennoch soll es zunächst auf eine zweijährige Probezeit angelegt sein, nach deren Ende Schwachstellen erkannt und Verbesserungen in Angriff genommen werden können.
Für Dagmar Siegmann liegen die Vorteile schon jetzt auf der Hand. "Die Schüler brauchen mehr als ein Schulbuch, um den Unterrichtsstoff wirklich zu verstehen", sagt sie. Eine Schule müsse deshalb eine vorbereitete Lernumgebung schaffen, die auf das jeweilige Fach abgestimmt sei. Im Geographieraum würden fortan zum Beispiel Atlanten und Karten, im Fremdsprachenraum Wörterbücher und CD-Player zum Abspielen von Sprach-CDs bereitgehalten werden.
Geplant ist außerdem, dass jeder Lernraum zukünftig über ein sogenanntes Smart- oder auch Whiteboard verfügt, bei dem es sich um eine elektronische Tafel handelt, die an einen Computer angeschlossen ist. Bisher hat das IKG nur sieben dieser Boards. Darüber hinaus soll es eine Sitzordnung geben, die an das jeweilige Fach angepasst ist. Heißt: Während etwa in Mathe die Tische und Stühle durchaus auf den Lehrer ausgerichtet sein dürfen, kann es in Geschichte eher eine Sitzordnung geben, die Gruppenarbeit begünstigt. "Wenn wir die Tische und Stühle immer umordnen müssen, geht viel zu viel Zeit verloren", sagt die Schulleiterin. Ziel des Ganzen sei es, eine Umgebung zu schaffen, die individualisiertes Lernen fördert.
Die Schüler sollten beispielsweise gezielt auf Quellen zugreifen und sie auswerten können. Das gehe jedoch nur, wenn die entsprechenden Bücher auch sofort verfügbar seien und sie nicht vom Lehrer extra in den Klassenraum gebracht werden müssten - denn vielen ist der Aufwand dann zu groß und sie lassen es lieber bleiben.
Dass die Schüler bereits ausschließlich im Doppelstunden-Modell unterrichtet werden, kommt dem neuen Lernraumkonzept entgegen. Es gebe dann weit weniger Wanderungsbewegungen als bei den 45-minütigen Unterrichtsstunden, sagt Dagmar Siegmann. "60 Prozent der Zeit sind die Schüler schon jetzt nicht in ihren Klassenräumen", fügt sie hinzu und verdeutlicht damit, dass das mit dem festen Klassenraum bisher sowieso nur bedingt der Fall gewesen ist. Mit dem Lernraumkonzept werden die Fachräume für Kunst, Physik oder Chemie bestehen bleiben.
Einzig die Schulbibliothek wird verschwinden. Ihre Bestände wandern direkt in die jeweiligen Lernräume, damit die zahlreichen Lexika und Nachschlagewerke, die das IKG besitzt, endlich auch zum Einsatz kommen.
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