Elbphilharmonie-Konzertfilm

Praller Architektur-Soundtrack – wie bei Kubricks „2001“

| Lesedauer: 3 Minuten
Ungewohnte Perspektiven mit dem NDR-Orchester in der Elbphilharmonie in Hamburg.

Ungewohnte Perspektiven mit dem NDR-Orchester in der Elbphilharmonie in Hamburg.

Foto: Sophie Wolter

Konzertfilm des NDR Elbphilharmonie Orchesters mit Musik von Lindberg und Neuwirth ist ein Erlebnis – und ein Jahr lang zu sehen.

Hamburg. Der Plan, und hier bitte den x-ten Frust-Seufzer dazudenken, war ja ein ganz anderer gewesen: „Elbphilharmonie Visions“ sollte als Biennale mit zeitgenössischer Musik starten, als Reboot einer ehrgeizigen Idee, die NDR-Chefdirigent Alan Gilbert in New York hatte und mit den dortigen Philharmonikern verwirklichte, bis es nicht mehr ging.

Jetzt ist er in Hamburg und wollte erneut groß und mehrtägig ausholen – bis die Corona-Pandemie auch hier alle Original-Spielpläne versenkte. Ein Konzept zumindest hat überlebt und wurde zu einem Konzertfilm mit beachtlichen Schauwerten, die so kein Live-Konzert dem Publikum geboten hätte.

"Tempus fugit" – das ganz große Streaming-Besteck

Zur Verbilderung von Magnus Lindbergs „Tempus fugit“ holten der NDR und Regisseur Alexander Radulescu das ganz große Streaming-Besteck heraus. Tempus fugit. Die Zeit eilt davon, doch andererseits, auch im Musikleben: Stillstand.

Lindbergs Klangfläche, im Jahr der Elbphilharmonie-Eröffnung komponiert und bestens zur derzeitigen Misere passend, spielt mit großer Eleganz und Klangfarbenreichtum auf sinfonische Vorgängergenerationen an – auf das scharfe Funkeln von Messiaen, die Boulez’ Strukturdichte, das trotzige Durchhalten von Sibelius und im Penthouse der Partitur auf Strauss’ „Alpensinfonie“-Pathos.

Elbphilharmonie: Kameras verließen die Saal-Parkplätze

Um die Vielschichtigkeit der Musik zu intensivieren, verließen die Kameras ihre Saal-Parkplätze, sie kreisten durch und über das Konzerthaus und durch die Foyers, sich wie bei Kubricks „2001“ um die eigene Achse drehend, schnittig an der Glasfassade entlang, als kunstflöge man in der Kulisse eines Computerspiels an allen Schwerkraft-Regeln vorbei. Die Flötengruppe auf der Plaza, der Flügel im Foyer, alles im Playback hineinmontiert, bildeten eine zweite Erlebnis-Ebene für den Raum-Klang.

Kein frontales Abfilmen also, mit taktgenau gesetzten Schnitten und Einblicken ins Großorchester-Geschehen, sondern vielmehr ein gefühlspraller Architektur-Soundtrack, dessen Wirkung rein konzertant, ohne dieses visuelle Gerüst, wohl deutlich schwächer gewesen wäre.

Eine virtuos montierte Liebeserklärung an die Details, die Perspektiven, die Größe, aber auch die ätherische Anmut des 200.000 Tonnen schweren Gebäudes. Knapp vor Heiratsantrag war diese Inszenierung, und noch beeindruckender wirkt das Ganze, wenn man im Heimkino eine Surround-Möglichkeit zum Video dazuschalten kann.

Olga Neuwirths Trompetenkonzert nur zweiter Sieger

Dagegen und nach so viel Überwältigungs-Ästhetik konnte Olga Neuwirths Trompetenkonzert „…miramondo multiplo…“ nur zweiter Sieger werden. Neuwirth zitierte und verfremdete dort so einiges, von „Send in the Clowns“ bis zu Händel, wie immer blies der Solist Håkan Hardenberger seinen Part souverän und über alle Schwierigkeiten hinweg ins Ziel. Doch im direkten Anschluss an die Lindberg-Show blieb das Stück undankbar zweidimensional.

Stream-Infos: Das Konzert ist ein Jahr lang in der Mediathek auf www.elbphilharmonie.de abrufbar.