Hamburg. Der Raum im Hauptgebäude der Universität wirkt eher unscheinbar. Die Decke ist weit heruntergezogen, das Fenster klein. Zwei hintereinander liegende Flügeltüren sorgen für zusätzliche Abgeschiedenheit und Ruhe. Dass er eine einmalige Sammlung birgt, wissen nur Eingeweihte. Die Augen müssen sich erst an das Licht gewöhnen, dann ist der Eindruck fantastisch: Rund 6000 Bücher stehen hier dicht an dicht, auch jede Menge Karten, Kataloge, Schnellhefter und sogar Flugblätter.
Es ist die Bibliothek des Hamburger Historikers Hans-Werner Engels (1941 bis 2010), die hier ein neues, noch weitgehend ungeordnetes Zuhause gefunden hat. Das Besondere: Mehr als die Hälfte dieser Privatbibliothek beschäftigt sich ausschließlich mit Altona und St. Pauli. Nach Einschätzung von Prof. Franklin Kopitzsch von der Arbeitsstelle für Hamburgische Geschichte handelt es sich bei dem Nachlass um die größte Sammlung zu diesem Thema weltweit. Dieser Schatz soll jetzt gesichert und allen Interessierten zugänglich gemacht werden. In Kürze wird eine Bibliothekarin die Bücher ordnen und erfassen. Danach wird die „Bibliothek Hans-Werner Engels“ über den Campus-Katalog der Staats- und Universitätsbibliothek ausleihbar sein, wie Dirk Brietzke von der Arbeitsstelle berichtet. Fest steht bisher nur, dass die Bücher im Jahr 2019 – zum 100. Geburtstag der Universität – erfasst sein sollen. Bei dem Jubiläum wird auch die Arbeitsstelle mit ihrem reichhaltigen Bestand eine zentrale Rolle spielen.
Hans-Werner Engels, der ursprünglich Lehrer war, hat als Lokalhistoriker viele wertvolle Forschungsergebnisse zusammengetragen. Er betätigte sich als Heimatforscher, war dabei aber ernst zu nehmender Wissenschaftler, der sich auch als Sachbuchautor und -herausgeber einen Namen machte. Seinen reichen Kenntnisschatz teilte er mit anderen – zum Beispiel in Form vieler öffentlicher Lesungen.
Schwerpunkte seiner Bücher, Aufsätze und Vorträge waren fast immer Altona und St. Pauli. Nach seinem überraschenden Tod vor fünf Jahren stand die wertvolle Sammlung verwaist in Engels’ Wohnung. Als Franklin Kopitzsch und Dirk Brietzke die Bücher besichtigten, drohten bereits Einzelverkäufe – um ein Haar wäre sie in alle Winde zerstreut worden.
Die beiden Wissenschaftler, deren Arbeitsstelle bundesweit ihresgleichen sucht, wussten: Dieser Schatz muss gerettet werden – und zwar komplett. Mithilfe von Jan Philipp Reemtsmas Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur gelang es schließlich, sie aufzukaufen, zusammenzuhalten – und für die Nachwelt zu sichern.
Die Sammlung vermittelt einen so starken Eindruck, dass der Kopf schwirrt und die Augen beinahe schmerzen. Dickleibige Schinken und filigrane Preziosen stehen Rücken an Rücken, zusammengeheftete Broschüren liegen neben ledergebundenen Atlanten. Manche Einbände sind so kunstvoll wie eine Designer-Arbeit, andere lassen überhaupt nicht erahnen, dass es sich um seltene Ausgaben oder sogar Unikate handelt. Die „Altonaer Stadtteilkunde“ von 1916 bietet gestochen scharfe Fotos längst untergegangener Straßenzüge, genau wie ein Buch zum Thema „Turnen in Altona“. Die abgegriffenen Adressbücher (ohne Datenschutz) sind ebenso wertvolle Quellen wie die Schriftenreihe „Bahrenfelder Fenster“, die vermutlich niemand mehr aufgehoben hat. Auch das Thema Prostitution ist nicht ausgespart – in älteren Schriften im Titel reichlich mühsam verschlüsselt.
Beinahe wehmütig muss ein Sonderkatalog stimmen, der zur Altonaer Gartenbauausstellung im Jahr 1914 erschien. Die abgebildeten schönen Jugendstilpavillons zeigen, wie kunstvoll das Ganze damals aufgezogen wurde, zugleich wird deutlich, dass die Schau wegen des Beginns des Ersten Weltkriegs keinen Glanz mehr entfalten konnte.
Hans-Werner Engels hatte sich viel mit den Auswirkungen der Französischen Revolution auf Norddeutschland beschäftigt, einen Schwerpunkt bilden entsprechend die Jahre 1780 bis 1820. Aus dieser Epoche bietet die Sammlung Unikate, die keine andere Bibliothek im Bestand hat. Als seltenstes und wohl auch wertvollstes Buch gilt der „Haupt-Receß“ der Stadt Hamburg von Ludwig von Heß aus dem Jahr 1781, ältestes Werk ist „Versuch einer historischen Beschreibung der an der Elbe belegenen Stadt Altona“ von 1747.
Hohe Summen muss Hans-Werner Engels in diesen Bücherschatz investiert haben, das zeigen Belege, die in einigen Büchern liegen. Aber als Bestandteil der universitären Sammlung sind sie mittlerweile allesamt unverkäuflich. Engels’ Heimatverbundenheit hat etwas Anrührendes. Ob Flugblätter aus Ottensen, Werbezettel oder Flyer – alles wurde sorgfältig archiviert. Überall finden sich Lesezeichen, Notizzettel und das persönliche Ex Libris. „Mein Vater liebte den Bezirk Altona mit seinen Stadtteilen“, erinnert sich Engels’ Tochter Julia Mohr. „Altona war ein Teil seiner Identität.“
Lesenswerte Hamburgensien
Die Arbeitsstelle für Hamburgische Geschichte
Edmund-Siemers-Allee 1
(Bahnhof Dammtor). Ihre Bibliothek ist über den Campu-sKatalog
einsehbar.
Hans-Werner Engels
An den Historiker erinnert jetzt das
Buch: Hans-Werner Engels: Der Französischen Revolution verpflichtet.
Herausgegeben von Michael Mahn und Rainer Hering
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