Gymnasium Allermöhe

30 „Mobile Schlafwagen“ für Obdachlose

| Lesedauer: 4 Minuten
Jan H. Schubert
So wird aus dem Bollerwagen ein Bett.

So wird aus dem Bollerwagen ein Bett.

Foto: Jan Schubert

Neuallermöhe. Schüler haben ein besonderes Modell konstruiert: einen Bollerwagen, der sich zum Schlafplatz umbauen lässt.

Neuallermöhe.  2000 Menschen leben ohne Bleibe auf Hamburger Straßen – und das ist nur eine vorsichtige Schätzung der Diakonie. Die Dunkelziffer der Hamburger Obdachlosen dürfte um einiges höher liegen. Sie kämpfen Nacht für Nacht ums Überleben. Vor allem im Winter, wenn sie sich auch noch notdürftig vor dem Erfrieren bewahren müssen und einen möglichst sicheren und warmen Schlafplatz suchen. Hier könnte schon bald ein soziales Projekt helfen, das vom Gymnasium Allermöhe ausgeht.

Dort entstand im Unterricht von Lehrer Julian Lee die Idee der „Mobilen Schlafwagen“. Angeregt durch die erst 16 Jahre alte Schülerin Liza Popal. „Ich hatte einen Fernsehbeitrag aus den USA über Minihäuser für Obdachlose gesehen und vorgeschlagen, dass wir diese nachbauen“, sagt die Neuallermöherin. Doch weil die Umsetzung auf dem Schulareal nicht nur platzmäßig schwierig ist, wurde aus den Häusern schnell der Bollerwagen.

Zwei Personen haben Platz

Und das ist das Prinzip: Tagsüber können die Obdachlosen das luftbereifte Konstrukt aus PVC-Holz an einem Griff mit sich ziehen – wie einen Bollerwagen. Zum Schlafen wird das Teil dann auf 1,80 Meter Länge sowie 1,10 Meter Breite aufgeklappt, sodass sogar zwei Personen mit Isomatte und Schlafsack darauf Platz finden.

Unter der Schlaffläche gibt es ein verschließbares Fach für die persönlichen Sachen. Noch ein Kniff: „Der Liegeplatz ist etwa 30 Zentimeter über dem Boden – im Winter ein wichtiger Abstand, ist der Untergrund doch oft gefroren“, weiß Julian Lee. Über den Schlafplatz wird dann noch eine Plane gespannt – fertig ist das wetterfeste und mobile Nachtlager.

Förderverein „clubkinder“ hilft mit

Der 29-jährige Lee unterrichtet am Gymnasium Allermöhe nicht nur Englisch und Philosophie, sondern engagiert sich auch sozial für den gemeinnützigen Förderverein „clubkinder“. Und irgendwo mussten die am Gymnasium erdachten und designten Schlafwagen ja auch gebaut werden: zum Beispiel im Sonnenschein-Café an der Sternstraße, einem Treff für bedürftige Menschen – gleichzeitig die Basis der „clubkinder“.

Dort haben Manuell G. und Torsten K. (beide 45) einen Prototypen gemeinsam mit Julian Lee, Liza Popal und drei Mitschülern gebaut. Beide wollen ihre Nachnamen nicht in der Zeitung lesen, weil sie selbst jeweils über ein Jahr obdachlos waren: Nach längerer Zeit im Ausland hatten sie in Deutschland keine Arbeit gefunden. Doch mittlerweile hat sich etwas ergeben: „Wir bauen uns gerade eine Existenz mit einem Hausmeister-Service auf“, berichtet Manuell G., der eigentlich Agrar-Diplom-Ingenieur im ökologischen Anbau ist und nebenbei die „Mobilen Schlafwagen“ baut.

10.500 Euro Spenden gesammelt

Das Projekt kommt gut an: Über Crowdfunding sind innerhalb weniger Tage schon 10.500 Euro zusammengekommen. Über Eltern der Gymnasiasten, aber auch zum Beispiel über Prominente, insbesondere aus der Hamburger Hip-Hop-Musikerszene. Dieses Geld würde reichen, um
30 „Mobile Schlafwagen“ zu produzieren. Ausgedacht und designt am Gymnasium Allermöhe, gebaut im Sonnenschein-Café.

„Das Ziel ist, im Januar diese 30 gebaut zu haben. Im Fe-bruar sollen sie dann auf die Straße“, sagt Lee. Bis dahin sprechen die „clubkinder“ mit Institutionen wie dem „Gabenzaun“ und den Johannitern, wer mit den ersten Wagen ausgestattet werden soll. „Wir brauchen vier Stunden für einen Wagen“, weiß Torsten K., gelernter Maschinenschlosser, „wenn wir richtig Gas geben, dann schaffen wir die Menge in einem Monat.“

Neue Selbstständigkeit für Obdachlose

Die soziale Sache hat auch einen Lerneffekt, wie Schülerin Liza Popal betont: „Bis zu dem Projekt habe ich immer gedacht, dass Obdachlose selbst Schuld sind an ihrer Situation. Wenn man jetzt aber mit ihnen spricht, erfährt man, dass das oft gar nicht so ist, sondern sie durch Schicksalsschläge wie eine Trennung oder den Tod eines wichtigen Menschen auf der Straße gelandet sind.“

Mit den Bollerwagen bekämen die Obdachlosen Mobilität und Selbstständigkeit zurück – „und damit ein Stück Menschenwürde“.

Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Bergedorf