Hamburg. Im Sommer 1885 versammelte sich eine Gruppe sportlicher Herren am Dammtorbahnhof. Nach einem gemeinsamen „Morgencafee“ setzte sich „eine glänzende Calvacade von 65 Radfahrern in eleganten Costümen“ in Bewegung, um nach Blankenese zu fahren und dort den auswärtigen Gästen die „herrliche Elblandschaft“ zu zeigen. Anschließend kehrten die Herren nach Hamburg zurück.
Am Nachmittag weihten die Beteiligten dann offiziell und feierlich eine neue Sportstätte ein: die Rennbahn am Grindel, die umgangssprachlich bald nur noch „Grindelbergbahn“ hieß. Sie lag ungefähr an der Kreuzung Grindelberg/ Schlankreye beim heutigen Holi-Kino.
Neues Buch von Amenda: Hamburgs Fahrradgeschichte
An deren große, relativ kurze Zeit erinnert ein neues Buch von Lars Amenda: „Grindelbergbahn. Radsport und Gesellschaft in Hamburg 1885–1906“. Amenda, der beste Kenner der Hamburger Fahrradgeschichte, zeigt einmal mehr, dass es hier schon vor mehr als 100 Jahren so etwas wie eine Fahrradstadt gab – auch ohne „Bike Lanes“ und Rad-Parkhäuser.
An der Initiative für die neue Bahn hatten der Altonaer Bicycle-Club von 1869/80 (ABC), der Hamburger Bicycle-Club (1882) und der Cyclisten-Club Hammonia von 1883 entscheidend Anteil. Nach rund viermonatiger Bauzeit wurde sie eröffnet. Auf der 500 Meter langen Radrennbahn gab es anfangs Hochrad- und Dreiradrennen zu sehen, von den frühen 1890er-Jahren an dann auch Radrennen auf dem „Niederrad“.
Von 1000 Sitz- und 20.000 Stehplätzen aus konnte das Publikum das Geschehen verfolgen. Es gab eine überdachte Tribüne, und nach dem Vorbild der Pferdesportveranstaltungen wurden Frühjahrs-, Sommer- und Herbsttreffen abgehalten.
Radrennen auf der Grindelbergbahn: Unterhaltende Spektakel
Im Herbst 1897 – vor 125 Jahren – initiierte die „Neue Hamburger Zeitung“ den Großen Preis von Hamburg, an dem deutsche und internationale Radsportstars wie Willy Arend, August Lehr und Paul Bourillon teilnahmen. Nach der Jahrhundertwende folgten dann spektakuläre „Steherrennen“ hinter motorbetriebenen Maschinen, was die Geschwindigkeit noch einmal deutlich erhöhte. „Die Grindelbergbahn diente anfangs als Arena bürgerlicher Selbstdarstellung und etablierte eine dem Pferdesport nachempfundene Form der sportlichen Unterhaltung“, schreibt Lars Amenda.
Die populären Radrennen demonstrierten dabei auch eindrucksvoll, wie leistungsfähig das moderne Fahrrad mit Kette und Luftreifen war. Dem Vorbild ihrer Radsport-Idole wollten nicht wenig nacheifern und befeuerten damit den Fahrradboom um 1900. Um das Publikum bei Laune zu halten, gab es vor Ort Erfrischungsbuden, und in der Mitte der Anlage spielte in einem Musikpavillon fast pausenlos eine Kapelle – zeitweise auch während der Rennen. Immer wieder wurden kuriose – und oft auch gefährliche – Sonderveranstaltungen geboten, bei denen dann beispielsweise Reiter wie der damals populäre „Texas Jack“ gegen Radler antraten (die Räder waren stets schneller).
Neues Buch von Amenda enthält noch nicht veröffentlichte Fotos
Das neue Buch vermittelt viel von dem ernsthaften Eifer, mit dem der Radsport damals betrieben wurde. Das liest sich amüsant, manchmal auch anrührend. Streitereien um Platzierungen gab es damals auch schon, aber dass zu den bereitgestellten Preisen für die weiter hinten Platzierten „Rauchwaren“ gehörten, wäre heute ebenso undenkbar wie die unbedarfte Werbung für den Artisten „Indianerkämpfer Jack“.
Absolutes Plus des neuen Buchs sind die ungewöhnlichen Fotos, von denen die meisten noch nie veröffentlicht wurden. Geschossen hat sie der Fotograf Robert Wiesenhavern, der selbst begeisterter Radsportler war. 80 Aufnahmen vom Geschehen auf und an der Grindelbergbahn – viele gestochen scharf überdauerten die Jahrzehnte und gelangten auf unbekannten Wegen in den Besitz des Radvereins (RV) Endspurt. Amenda konnte sie nun glücklicherweise nutzen, und es macht einfach Spaß, sie anzuschauen.
Das Buch bietet ungewöhnliche Aufnahmen von der Grindelgegend
Man sieht Schiedsrichter in Cut und Zylinder, angespannte Radler am Start (ausschließlich Männer), Tausende Zuschauerinnen und Zuschauer die sich mit Schirmen und Strohhüten gegen die Sommersonne schützen. Ungewöhnlich auch die Eindrücke von der damals noch sehr luftig bebauten Gegend in der Nähe des Isebekkanals. Eine Orientierung ist angesichts der völlig veränderten umliegenden Häuser meist kaum möglich. Doch so schnell der Hype gekommen war, so schnell verflüchtigte er sich auch wieder.
Schon kurz nach 1900 hatten die Betreiber der Grindelbergbahn zunehmend wirtschaftliche Probleme und versuchten mit noch mehr Unterhaltungsangeboten gegenzusteuern. Darunter waren Fahrradverlosungen, Wildwestshows und Ballonfahrten. Darüber hinaus konnten im Innenraum zeitweise Fußball und Tennis gespielt werden, im Winter wurde Eislaufen angeboten. Doch auch diese Ausweitung konnte den Konkurs der Sportplatz Grindelberg GmbH nicht verhindern. 1906 musste die Radbahn schließen, und das Gelände wurde bebaut.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Hamburg