Justiz

Zeugen sollen in Hamburg per Video aussagen dürfen

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Bettina Mittelacher
Ein Richter sitzt im Gerichtssaal vor einer Kamera und Bildschirmen. In Hamburg sollen Opfer und Zeugen auch per Video aussagen dürfen.

Ein Richter sitzt im Gerichtssaal vor einer Kamera und Bildschirmen. In Hamburg sollen Opfer und Zeugen auch per Video aussagen dürfen.

Foto: picture alliance/Marcel Kusch/dpa

So wollen Richter vor allem Kindern, die Verbrechensopfer werden, wiederholte Befragungen im Prozess ersparen.

Hamburg. Missbraucht, misshandelt, verletzt: Es ist ein schwieriger, oft beklemmender und strapaziöser Akt für Opfer eines Verbrechens, die erlittenen Taten auch noch schildern zu müssen, in allen Details. Und trotzdem sind solche umfassenden Zeugenaussagen essenziell, um den Täter zu ermitteln, später vor Gericht zu stellen – und zu verurteilen.

Jetzt geht Hamburg neue Wege, um die Opfer effizient und zugleich möglichst schonend zu vernehmen und ihnen vor allem zu ersparen, mehrmals vor Gericht aussagen zu müssen. Möglich werden soll dies durch speziell geschulte Richter sowie den vermehrten Einsatz von Videotechnik.

Wiederholte Befragungen belasten das Opfer

„Wiederholte Befragungen bei Polizei sowie später im Regelfall im Prozess und dort gegebenenfalls durch mehrere Instanzen ist für Opfer häufig extrem belastend“, sagt Amtsrichterin Birte Meyerhoff, Leiterin des Jugendgerichts in Hamburg. „Jetzt sollen bei bestimmten Delikten und insbesondere bei kindlichen Opfern die Vernehmungen so gestaltet werden, dass eine erneute Aussage später im Prozess nicht mehr erforderlich ist.“

Hintergrund ist eine Novelle in der Strafprozessordnung, die entsprechende Vernehmungen verpflichtend vorsieht: Beim traumatisierten Kind oder auch beim erwachsenen Opfer von Sexualdelikten wird eine richterliche Vernehmung zum Ende des Ermittlungsverfahrens auf Video aufgezeichnet – als adäquater Ersatz für eine weitere Zeugenaussage. „Das ist ein wichtiger Schritt für den Jugendschutz und den Schutz der Opfer von Sexualdelikten“, betont Richterin Meyerhoff.

Vier oder fünf erfahrene Jugendrichter, die sich zudem fortbilden, sollen in allen infrage kommenden Fällen die Vernehmungen der kindlichen Opfer vornehmen. „Entscheidend ist das Know-how, Erfahrung und Feingefühl, um den jeweiligen Zeugen sowohl emphatisch als auch zielführend zu befragen“, sagt Meyerhoff. „Wir rechnen mit etwa 120 entsprechenden Fällen pro Jahr.“ Richterin Monika Schorn, wie Meyerhoff Betreuerin des neuen Projekts, ergänzt: „Zu den Fortbildungen gehören beispielsweise auch Seminare bei Aussagepsychologen, die insbesondere bei Aussagen kindlicher Zeugen häufiger hinzugezogen werden.“

Opfer sollen dem Täter möglichst nicht mehr begegnen

Um die auf Video aufgezeichnete Vernehmung als vollwertigen Ersatz für eine Aussage im Prozess zu gewährleisten, müssen nicht nur die Richter, sondern auch ein Staatsanwalt sowie der Beschuldigte und dessen Verteidiger die Möglichkeit haben, die Vernehmung zu beobachten, sich einen eigenen Eindruck vom Zeugen zu verschaffen und selber Fragen an diesen stellen zu können, gegebenenfalls über den Ermittlungsrichter.

Gleichzeitig soll das Opfer aber davor bewahrt werden, bei der Vernehmung durch eine Konfrontation mit mehreren Menschen, insbesondere mit dem mutmaßlichen Täter, verunsichert oder sogar eingeschüchtert zu werden. Deshalb sind, neben einer dringend notwendigen, sehr guten technischen Ausstattung, für die geplante richterliche Videovernehmung mindestens zwei Räume erforderlich: einer, in dem der Richter das Opfer befragt. Und ein zweites Zimmer, in das über Kameras und Bildschirme die Vernehmung übertragen wird. Über eine spezielle Chat-Technik können die übrigen Verfahrensbeteiligten ihre Fragen in den Vernehmungsraum übermitteln, wo der Richter sie dann kindgerecht an den Zeugen stellt.

„Solche räumlichen Möglichkeiten im Strafjustizgebäude zu finden ist schwierig“, sagt Richterin Schorn. „Es sind umfangreiche Sanierungsmaßnahmen geplant, die den Justizbetrieb beengen. Und die Räume sind ohnehin stark ausgelastet.“

Zudem sollte sichergestellt sein, dass sich Opfer und Verdächtiger nicht über den Weg laufen. Erstrebenswert sei für die Vernehmungen darüber hinaus eine Ausstattung, die eine freundliche Atmosphäre schaffe, also etwa Zimmer mit Sesseln, Bildern und Pflanzen. Ideal wäre noch ein dritter Raum als Wartezimmer, wo für Kinder auch ein wenig Spielzeug liegen könnte, um sich besser zu akklimatisieren.

Auch für Erwachsene will die Richterin Räume einrichten

Der beste Platz für solche Vernehmungsräume, finden die Richterinnen, wäre in einem sogenannten Childhood-House. In einem solchen Kinderschutzhaus, wie es die vor mehr als 20 Jahren von der schwedischen Königin Silvia gegründete Childhood Foundation fördert, finden vernachlässigte, misshandelte und traumatisierte Kinder einen geschützten Bereich. Das Konzept: Ärzte, Richter, Polizisten und Jugendamt-Mitarbeiter arbeiten unter einem Dach zusammen.

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Durch die Bündelung an einem Ort soll erreicht werden, dass die Opfer in kindgerechter Umgebung untersucht und befragt werden. Schon seit Langem wünscht sich das Kinderkompetenzzen­trum der Rechtsmedizin am UKE ein solches Childhood-House (das Abendblatt berichtete). Die Chancen dafür sollten gut stehen, da im neuen Koalitionsvertrag von SPD und Grünen aufgenommen wurde, dass Hamburg eine solche Einrichtung fördern will. Ideal, da sind sich die Jugendrichter und die Rechtsmediziner einig, wäre als Standort für das Childhood-House das UKE-Gelände.

Aber auch für die erwachsenen Opfer von Sexualdelikten müssten Räumlichkeiten für die Videovernehmungen eingerichtet werden, sagt Richterin Meyerhoff, „diese dann möglichst zentral am Sievekingplatz“. Ohnehin hoffen die Richterinnen „auf Unterstützung durch die Justizbehörde“, so Meyerhoff, „damit die räumliche und technische Ausstattung professionell, bedarfsgerecht und zeitgemäß ist und die geschaffenen Räume langfristig zur Verfügung stehen.“

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