Sie sind da! Die ersten Flüchtlinge sind eingezogen! Jetzt habe ich schon seit geschlagenen zwei Jahren über sie geschrieben, sodass es fast surreal erscheint, sie plötzlich „in echt“ zu sehen. Die selbstbewussten Kopftuchfrauen, die schicken Eritreer, die netten Papas, die mit ihren unglaublich niedlichen Kindern irgendetwas vom Baumarkt anschleppen. Insgesamt 120 Personen, aufgeteilt in 90 Familienmitglieder und 30 Alleinstehende Männer. Ich habe das große Glück, dass mein Auto kaputt ist, und ich deshalb ausgerechnet jetzt fast täglich Bus fahre. Und so habe ich am 1. November hautnah miterlebt, wie unsere Bushaltestelle, die wir mit der neuen Siedlung teilen, von einem Tag auf den anderen von Poppenbüttel nach Neukölln gebeamt wurde. Zwei Bio-Deutsche und fünf Migranten, so sieht unsere Bushaltestelle seitdem jetzt immer aus. Schluck …
Ich war ja ein bisschen abgetaucht. Viele Monate lang durfte ich in dieser Zeitung meine Gedanken als direkter Nachbar zu der entstehenden „Folgeeinrichtung“ auf unserem grünen Nachbarsfeld mitteilen und durfte erleben, wie sehr ich damit vielen Hamburgern aus der Seele gesprochen habe: Was macht das mit dir als Mensch, wenn die Weltpolitik plötzlich aus der „Tagesschau“ ganz konkret in deinem Vorgarten landet? Peng! Direkt vor die Nase. Die Gefühle sind teilweise hart: Wie gehe ich damit um, dass mir etwas weggenommen wird? Dass ich mit Fremden konfrontiert werde? Menschen, von denen ich nur weiß, dass sie viel Krieg erlebt und ein – vorsichtig ausgedrückt – verwirrendes Frauenbild haben. Und zuletzt das zarte Pflänzchen der Hoffnung, dass diese Menschen ja auch etwas mitbringen, das uns bereichern kann, wie zum Beispiel das syrische Restaurant, dass es seit ein paar Jahren in Poppenbüttel gibt.
Wir dürfen die positive Energie des Anfangs nicht zerstören
Gefühle, mal so, mal so, die mich seit zwei Jahren bei einer emotionalen Achterbahnfahrt begleiten und mit denen wir alle erst einmal lernen mussten umzugehen. Und wir haben viel gelernt! Heute können wir viel freier über Chancen, aber auch Gefahren der Einwanderung von 2015 reden. Wenn ich ein bisschen helfen konnte, die Gedanken zu ordnen, freue ich mich. Mir hat es jedenfalls selbst sehr geholfen. Auch wenn ich lange noch nicht angekommen bin… (auch das eine gute Erkenntnis).
Jetzt sind sie jedenfalls da. Das Theoretisieren hat ein Ende und deswegen schreibe ich wieder. Der erste Eindruck an der Bushaltestelle ist: Da ist eine große Schüchternheit bei den Flüchtlingen. Und eine große Bereitschaft, dass alles gut wird. Ich kann jedem nur empfehlen: Schaut ihnen direkt in die Augen, grüßt freundlich mit „Moin“, das macht allen Beteiligten Spaß. Ich erlebe die Migranten als sehr zugewandt und mir schießt immer wieder ein Satz durch den Kopf: „Die sind doch nicht blöd.“ Die wissen doch auch ganz genau, was los ist!
Deswegen sind sie schüchtern, freundlich und höflich. Sie wissen, dass sie hier zu Gast sind, dass wir sie nicht gerufen haben und dass sie etwas von unserem Kuchen abbekommen. Dafür sind sie dankbar. Ich bin sicher, dass sie spüren, dass wir etwas abgeben müssen, ohne gefragt worden zu sein. Wie gesagt: die sind nicht doof. Und auch nicht unsensibel. Sie sind dankbar und wollen, dass alles gut wird. Und da müssen wir sie abholen. Wir dürfen diese positive Energie des Anfangs nicht zerstören. Genau hier kann Diskriminierung, Ablehnung, Hass und Ausgrenzung zu großer, großer Enttäuschung führen. Deswegen bin ich so gerne bei Poppenbüttel Hilft, um den Zuwanderern zu zeigen: Deutsch sein ist geil. Es lohnt sich, sich zu integrieren.
Heute nun ist großer Bahnhof auf dem ehemaligen Feld, wo mittlerweile viel zu viele und viel zu hohe Häuser in den nebligen Novemberhimmel wachsen. Aus Poppenbüttel ist hier Barmbek geworden: Backsteinhäuser in der Tradition von Fritz Schumacher mit „Klinkerkunst“, wie mir der Bauleiter erklärt, das heißt: reliefartigen Erhöhungen einzelner Steinreihen, so wie es in Barmbek oder in der Jarrestadt üblich ist. Sehr hamburgisch, das muss ich zugeben. Ich mag Barmbek. Und doch in seiner schieren Größe auch ein Brocken, den man erst einmal schlucken muss. Wenn man allerdings zwei Jahre lang täglich den Häusern beim lautstarken Wachsen zuschaut, gewöhnt man sich daran. Das Feld verblasst. Ich mache mir hin und wieder den Spaß, mich mitten in die neue Siedlung zu stellen und mir Pflanzen dazuzudenken. Dann wirkt das alles weniger bedrohlich. Unsere eigenen Häuser sähen ohne Büsche auch so kastig aus. Das wird schon.
Jedes Wohnzimmer bekommt ein individuelles Dach
Heute also „Hauswarming“ (Olaf Scholz) im Zelt am Ohlendieck. Der Bürgermeister hält eine kleine Rede als Schirmherr, bei der er sich ausdrücklich für die gute Bürgerbeteiligung bedankt und weist auf eine zentrale Errungenschaft der Poppenbüttler hin: Das Begegnungshaus. Auf Initiative von „Poppenbüttel Hilft“ wurde zusammen mit der Hafen-City-Universität in zwei auf unserem Gelände stattfindenden Architekturseminaren (der sogenannten „Summerschool“) ein Haus entworfen, das bisher ohne Beispiel ist und von der Olaf Scholz in seiner lustigen Sprache sagt, dass sie „dazu anregt, an anderer Stelle mal zu gucken, ob man das nicht nachmachen könnte“.
Das junge Gewinnerteam „Bow Wow“ um den japanischen Architekten Tamotsu Ito hat in einem intensiven Austausch bei der Summerschool versucht herauszufinden, was Menschen aus allen Kulturen gemeinsam haben. Die deutsche Architektur-Studentin Kristen, der syrische Handwerker Saad, der Japaner Ito und andere haben sich Grundrisse ihrer eigenen Wohnungen gezeigt. Das Ergebnis ist verblüffend: Wohnzimmer und Wochenmarkt. „Living-Room and Bazar“. Herausgekommen ist ein Haus in Form eines Hashtags (das berühmte „#“), das aus lauter Wohnzimmern besteht. In der Mitte ein Atrium, wie ich es aus Römerhäusern bei Asterix oder aus Pompeji kenne mit einem Kreuzgang drum herum.
Jedes dieser Wohnzimmer bekommt ein individuelles Dach, eines hat sogar einen Kamin und das Beste ist: Dies alles soll zusammen mit Geflüchteten und Anwohnern und mit den Auszubildenden der an der Summerschool beteiligten Handwerksbetriebe aus Holz gebaut werden. Deswegen ist die endgültige Gestaltung noch offen. Auch eine Pioniertat: Es muss ein Weg gefunden werden, wie man dieses Haus einfach, aber dennoch dauerhaft baut. Schön wird es definitiv, was sich mit der Philosophie des Bürgermeisterst deckt, der mir im Gespräch sagte: „etwas Schönes hält länger, als einfach nur Stahl und Beton“. Ein guter Gedanke.
Die Form des Hashtags ist übrigens Zufall. Die Architekten mussten über meine Überinterpretation sehr lachen. Vielmehr kann man in diesem Kreuz noch die Herkunft vom Container erkennen. Ich freue mich schon sehr auf den ersten Kaffee in diesem tollen Projekt. Wird es funktionieren? Das letzte Wort hierzu hat Bürgermeister Olaf Scholz: „Begegnungen haben ja das Besondere, dass sie zu Erkenntnissen und Erfahrungen führen, die man sich nicht vorgenommen hat!“
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